Leicht bekleidet, oben ohne oder einfach im Alltagsoutfit machten sich am vergangenen Samstag etwa 700 Demonstrierende zum „SlutWalk Berlin“ auf. Ausgestattet mit bunten Transparenten, Schildern und Körperbemalung ging es vom Brandenburger Tor in Richtung Strausberger Platz. Der zweite Berliner „Schlampenmarsch“ sollte darauf aufmerksam machen, dass sich sexuelle Gewalt nicht mit dem Aussehen oder Verhalten des Opfers rechtfertigen lässt. Was überraschte: Auffallend viele Männer waren in diesem Jahr mit von der Partie. „Viel Kraft, viel Mut und viel Spaß – Wir sind der SlutWalk“ wurde vor dem Start auf dem Pariser Platz verkündet. Auf der Route durch meist leere Straßen konnte der Demonstrationszug allerdings nur wenig Aufmerksamkeit für sein Anliegen erregen.
Bereits im Vorfeld des Walks hatte es Ungereimtheiten gegeben: Das Institut für Separatistischen Ausschlussfeminismus kritisierte, dass das diesjährige Motto: „Alles Schlampen, auch Mutti“ eher zu einer „sexy und wilden Party“ aufrufe, als zu einer Veranstaltung, die sich gegen sexuelle Gewalt auflehnt. Die Umdeutung des Wortes „Schlampe“ zum Solidaritätsbegriff kommt offenbar nicht an.
Anfang Juli kam es dann nach einer Benefizparty im linksalternativen Berliner Clubkollektiv „://about blank“ zum Eklat. Einige Gäste berichteten bei Facebook, dass sie auf der Party belästigt und begrapscht wurden. „Auf dem Weg von der Toilette zurück wurde ich in den Hintern gekniffen“, schildert eine Besucherin. Eine weitere Person hält ihren Gesamteindruck folgendermaßen fest: „Keine Minute des an der Bar-Stehens und Wartens verging ohne Sprüche im Hintergrund á la ’nun hol schon deine Möpse raus, hier geht’s schließlich um Sluts'“. Von einem angeblich anwesenden Team zur Verhinderung solcher Geschehnisse war nichts zu sehen. Der „SlutWalk“ wurde daraufhin um einen Monat verschoben.
Sandra, die Pressekoordinatorin, räumt ein, dass das Security-Team auf der Party nicht präsent war. Außerdem sei das Motto unglücklich gewählt worden. In einer Gruppe Freiwilliger ohne Hierarchie könne nicht immer alles sofort klappen. Aber man sei natürlich bereit, dazuzulernen. Bis zuletzt suchte das Organisationsteam, das lediglich zehn feste Mitglieder umfasst, nach Unterstützung. Am Brandenburger Tor wurden spontan Freiwillige angeworben.
Auch auf der Facebook-Seite des „SlutWalk“ wird wiederholt heftige Kritik geäußert. Sandra hat das Gefühl, dass viele sich nur profilieren wollen: „Auf den „SlutWalk Berlin“ kann man den ganzen Scheiß abwerfen, der einem gerade so in den Sinn kommt. In Anbetracht des schwierigen Themas macht mich das ein bisschen sprachlos.“ Könnte die öffentlichkeitswirksame Diskussion von Vorfällen vielleicht Teil einer Kampagne von missgünstigen Personen sein, die der Iinitiative schaden wollen?
Als wäre das alles nicht genug, sprang kurz vor Beginn der Demo auch noch der bisherige Kooperationspartner NetzwerkB ab, weil ihr riesiger Werbeball mit dem Slogan „Verjährungsfristen aufheben!“ und großem Namenslogo nicht mitgebracht werden durfte. Sandra erklärt, dass nicht die Botschaft auf dem Ball abgelehnt werde, sondern die dazugehörige Werbung, die den „SlutWalk“ als Veranstalter untergrabe. Sie ergänzt: „Es ist ein bisschen traurig. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit.“
Für die Demonstrierenden haben die Missverständnisse im Hintergrund keine Bedeutung. Sie wollen und brauchen solch eine Veranstaltung aus ganz persönlichen Gründen. Sie sagten am Samstag ‚Nein‘ zum Hinterherpfeifen, Anbaggern und Zurufen in der Öffentlichkeit. Vergewaltiger allein sind Schuld an ihren Taten, so die Botschaft. Denn viele Opfer quälen sich mit Scham und eingeredeter Schuld. Die Befreiung von diesen Mythen ist den Teilnehmern wichtig. „Ich trage das Problem schon so viele Jahrzehnte mit mir rum und jetzt endlich steht ihr auf. Das ist der Hammer. Das ist gut,“ sagt Regine, eine Teilnehmerin.
Dennoch: Ein wirklich sichtbares Aufbegehren gegen falsche Schuldzuweisungen blieb am Samstag aus. Eine Folge vielleicht auch der deutlich gesunkenen Teilnehmerzahl im Vergleich zum Vorjahr. Die zahlreichen Ereignisse und Diskussionen vor der Demo waren da weitaus energiegeladener. Schade.
Weitere Eindrücke und Stimmen vom SlutWalk 2012 findet ihr im Audio-Beitrag:
http://soundcloud.com/bln-fm-im-fokus/im-fokus-so-wars-slutwalk-2012