Spielzeug im Museum: Kunst oder Kunststoff?

Installationsansicht, Foto: Jana Ebert
Installationsansicht, Foto Jana Ebert

Der erste Eindruck der ART & TOYS Collection Selim Varol im me Collectors Room in Berlin-Mitte lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Reizüberflutung. Das Auge weiß nicht, wohin es schauen soll. Die Wände mit Kunstdrucken plakatiert. Bunte Skateboards und Comiczeichnungen im nächsten Raum. Kleine asiatische Plastik-Figuren und überlebensgroße Manga-Skulpturen in den Ecken. Eine pastellfarbene Kuckucksuhr. Vitrinen voller Kuscheltiere und Nippes. Plastikfiguren schippern in einer Arche Noah durch den Ausstellungsraum.

3.000 Werke von mehr als 200 Künstlern und Designern aus über 20 Ländern werden noch bis zum 14. Oktober gezeigt. Sie stammen aus der Sammlung des Düsseldorfer Unternehmers Selim Varol. Wenn der Mensch ein Jäger und Sammler ist, dann verkörpert Varol wohl den Prototyp. Seit frühester Kindheit jagt er Plastik-Spielzeug hinterher. Später wurde aber auch er zumindest teilweise erwachsen und erweiterte seine Sammelleidenschaft um Kunstwerke aus der Urban Art und „Pop-Surrealismus„-Szene. Was Spielzeug mit Kunst zu tun hat, ist dabei eine Frage des Standpunkts.

Spielzeug als Spiegel unserer Zeit

Varol sieht seine Sammlung als Dokumentation unserer Kultur. Und tatsächlich kommt einem das ein oder andere Sammelstück der Ausstellung bekannt vor. Das ikonische Obama-Plakat „HOPE“ von Street-Art-Talent Shepard Fairey beispielsweise hat sich durch den US-Wahlkampf 2008 ins kollektive Auge gebrannt.

Doch wenn die Kunstsammlung tatsächlich unseren Zeitgeist widerspiegelt – dann gute Nacht. Viel mehr als Geldgier, Krieg, Markenfetischismus und Comics hat demnach unsere Generation nicht zu bieten. Der gesellschafts- und konsumkritische Unterton der Ausstellung war laut Sammlerkatalog von Varol zwar nicht beabsichtigt, scheint aber ein Anliegen der Künstler gewesen zu sein. Bemerkenswert ist, dass fast alle verarbeiteten politischen Themen über die Jahre des Sammelns hinweg nicht an Aktualität verloren haben.

Tilt, Sex and Violence (Canvas, 2011)

Dass Gesellschaftskritik in den zwei Stockwerken des me Collectors Room vor allem Amerika-Kritik bedeutet, ist vielleicht etwas einseitig. Einem US-Bürger wird die Ausstellung nicht in einen wohlig-warmen Gemütszustand versetzen, in Anbetracht dessen, wie viel Schindluder mit den Symbolen des „American Dream“ betrieben wird. Der Sternenbanner wird aus bunten Pillenkapseln oder in Form einer eingedellten Cola-Dose nachempfunden; Stars and Stripes durch die Worte „Tilt, Sex and Violence“ (CANVAS) oder „Bad“ (Oliver Räke) überschrieben. Und man bezahlt mit der Kreditkarte „American Depress“ (D*FACE).

Auch das teuerste Werk der Sammlung  – Wert rund 320 000 Euro – fällt in die Kategorie „Amerika“: Eine überdimensionale Banknote zeigt anstelle George Washingtons, des Vaters der Nation, eine mit einem Dollar-Zeichen gebrandmarkte Hand, die nach der Welt greift. Statt „In God We Trust“ („Wir vertrauen auf Gott“) heißt es „Obedience Is The Most Valuable Currency“ („Gehorsam währt am längsten“) – hat der Kapitalismus der Menschheit den Schneid abgekauft?

Kunststoff bleibt Kunststoff

Gerne erzählt Sammler Selim Varol die Anekdote, wie seine Leidenschaft ausgelöst wurde: Im Alter von zwölf Jahren kam er eines Tages nach Hause und fand sein Kinderzimmer leer geräumt. Seine Mutter war der Meinung, er sei nun zu alt für Plastikfiguren. Dass jemand als Reaktion auf eine gut gemeinte Erziehungsmaßnahme 15.000 sogenannter „Designer Toys“ anhäuft, ist schon bemerkenswert. Und dass Sammler für die solche limitierten, ca. 30 cm großen Fantasiefiguren bis zu 3.000 Euro hinlegen, ebenso.

Selim Varol nimmt den Besucher mit auf eine Reise durch sein Leben: angefangen von der ersten Batman-Figur, die noch aus Kindertagen stammt und an der er jede Macke erklären kann, über Nazi-Größe Heinrich Himmler aus Vinyl, der auf dem Weg aus China im Zoll abgefangen wurde und wegen dem Varol den Verdacht auf eine nationalsozialistische Gesinnung ausräumen musste, bis hin zu den Fotografien des TED-Prize-Trägers JR, auf dessen Ausstellung Varol seine Frau kennenlernte. Nicht umsonst gruppierte er die persönlichsten seiner Sammelstücke, ließ sie fotografieren und stellte sie in den Sammlerkatalog unter dem Titel „Selim’s Family“.  Ein gewisses Maß an schwarzen Humor ist ihm nicht abzusprechen.

Selims Family Groupshot 2012 © Daniel Geo Fuchs

Manchmal muss man einen Schritt näher an die Bilder herantreten, um ihn wahrzunehmen. Wie bei „Rosie’s Tea Party“ von Mark Ryden, das in Rosatönen ein blondes Mädchen zeigt, das mit seinen Kuscheltieren und mit Ken und Barbie ein Kaffeekränzchen hält. Dass Rosie an einem rohen Schinken säbelt, sich Albino-Eichhörnchen ein Steak krallen und die Flasche auf dem Tisch ein Jesus-Etikett hat, fällt erst auf, als man schon fast am Bild vorbeigegangen ist.

Das subtil böse, kritische und trotzdem kindlich Unbekümmerte zieht sich durch die Ausstellung und macht ART & TOYS interessant für das Kind im Erwachsenen. Für echte Sprösslinge muss die Ausstellung dagegen eine Folterkammer sein – schließlich steht all das schöne Spielzeug hinter Glas und darf nicht angefast werden.

ART & TOYS – Collection Selim Varol, noch bis zum 14. Oktober 2012 im me Collectors Room Berlin, Auguststraße 68, 10117 Berlin, U-Bahn Weinmeisterstraße oder Oranienburger Tor, S-Bahn Oranienburger Straße. Eintritt Dienstag bis Sonntag von 12 bis 18 Uhr für 6 Euro, ermäßigt 4 Euro. Für Kinder unter 18 Jahren Eintritt frei.