Das Outback, die Hölle

Wie so ziemlich jeder Junge der heruntergekommenen Missionsgemeinde Toomelah, irgendwo im endlosen Outback der australischen Provinz New South Wales, möchte auch der 10-jährige Daniel Gangster werden. Statt der Schule besucht er regelmäßig seinen Kumpel Linden, der ihn einführt in eine Welt aus Drogen und Verbrechen. Der dritte Spielfilm von Ivan Sen will aufklärerisch und realistisch eine vergessene, soziale Realität Australiens abbilden – und wirkt deshalb authentisch, schockierend und dennoch fremd.

Toomelah

Die wackligen und körnigen Handkamera-Aufnahmen erinnern an die Ästhetik von Horrorfilmen wie „Blair Witch Project“ und Paramounts Kassenschlager „Paranormal Activity“. Die Art des Fotografierens gibt Zuschauenden das Gefühl, direkt dabei zu sein und nicht einem erfundenem Drehbuch zu folgen, sondern einer Dokumentation echter Ereignisse. „Toomelah“ gelingt diese Illusion: hier wirkt nichts pseudo und unecht.

Geschichte und Umsetzung von „Toomelah“ finden statt fernab von den großen australischen Glanz-Produktionen wie Baz Luhrmanns „Australia“ oder den Frühwerken großer australischer Regisseure wie Peter Weir oder Phillip Noyce. Doch die Filme verbindet unbestreitbar das Band ihrer Herkunft. Stets spielen die Natur, die Schattenseiten der Moderne, Globalisierung und vor allem die Suche der Protagonisten nach ihrer Identität eine entscheidende Rolle.

Gerade die Suche nach dem Standpunkt in der Welt ist Leitmotiv in Ivan Sens „Toomelah“. Daniels ältere Tante gehört zur verlorenen Generation der Aborigines, die von den englischen Siedlern als Kinder von ihren Eltern getrennt wurden, um zu „guten Christen“ erzogen zu werden. Die eigene Herkunft und Tradition wurden brutal abgewertet. Daniels Mutter ist schon Teil der nächsten Generation, welche ebenso wie Daniel die Folgen der Diskriminierung in sich tragen.

Es scheint als würde der Kampf um Integration in die moderne Gesellschaft und die Identität in eben dieser von Generation zu Generation immer aussichtsloser werden. Daniels Mutter vegetiert vor sich hin. Für Daniel hingegen ist das Leben als Verbrecher der einzige Ausweg aus der Belanglosig- und Aussichtslosigkeit seiner Existenz. „Toomelah“ ist ein aufrüttelnder und zugleich niederschmetternder Film, mit einem Maß an Realismus, das einem nahe geht.

„Toomelah“, Australien 2011, Drama, 101 min., zu sehen am 13. September 2012 um 19:30 bei der Opening Night des Down Under Berlin im Moviemento, Kottbusser Damm 22, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn: Schönleinstraße

(von Johannes Scholten, Foto: Down Under Berlin)