Als Veranstalter hat man es in Berlin gar nicht so leicht. Man muss wissen, was man will und auch dementsprechend seine Acts buchen. Beim Berlin Festival ging es diesmal eher um das Geld. Zur Peaktime zum x-ten Mal Paul Kalkbrenner – das füllt den Platz vor der Hauptbühne in Tempelhof. Wie schon in den letzten Jahren fand das Festival auf dem ehemaligen Flughafengelände statt -hier findest du unseren Bericht von 2011.
Irgendwie hatte es ja was von Oktoberfest dieses Jahr, das Berlin Festival. Eine Würstchenbude, Stände mit Kiffer-Utensilien und anderem Krimskrams reihten sich aneinander. In einiger Entfernung hörte man Autoscooter aneinanderkrachen, während neben einem ein Typ mit Bierbackpack einem Besucher mit einem überteuerten „I am single“-Zuckerherz um den Hals seinen Plastikbecher auffüllte. Die in einer Ecke öffentlich geführte GEMA-Debatte, Charity-Geplänkel, Poetry-Slam-Zelt im Art-Village und mit allerlei Farbe verschmierte Performance- und Malecken wirkten da wie ein kleiner Gegenpol zu all dem jahrmarktsartigen Kommerz. Viel relativ nichtssagender und dennoch visuell dominierender Mischmasch bei der Großveranstaltung Berlin Festival ließ die Musik eher wie Beiwerk erscheinen. So ernüchternd die Show auf dem Flughafengelände angesichts des stolzen Preises von 90€ für die beiden Festivaltage war – es hat sich gelohnt, nach 00:00h in den Club X-Berg zu ziehen. Hier schien es nämlich doch eher um die Musik zu gehen, unter anderem hielten sich Fress- und Konsumstände hier etwas sich in Grenzen. Hier unser Rückblick auf die beiden Festivaltage:
Freitag:
Das Gelände füllte sich erst richtig als es dunkel wurde: Nachmittags eröffnete um 14h das Techno-Ensemble Brandt Brauer Frick, das am Samstag ins Horst Krzbrg weiterzog. Clock Opera auf der etwas abseits gelegenen „Hangar 5-Stage“ erwiesen sich als krachendes Warm-Up und hätten ihr neues Album „Ways To Forget“ besser auf der Mainstage zu einem späteren Stunde vor größerem Publikum vorstellen sollen. Insgesamt war der Klang dieser Bühne bei den meisten Acts miserabel, sowohl We Have Band als auch WhoMadeWho kam eher einem Soundbrei nah.
„Do you like pussys?“, fragte die Sängerin von Friends das Publikum: während des Auftrittes ihrer Indie-Trash-Band sprang sie einige Male ins Publikum, jauchzte, piepste und stöhnte eifrig ins Mikro und tanzte in ihrem aufgekratzten Outfit mehr mitten als vor den Leuten. Die Menge war begeistert!
Grimes spielte bei einsetzendem Nieselregen, wobei die kratzige Stimme der Sängerin über den sphärischen Soundschnipseln ab und an etwas ulkig wirkte. Noch ulkiger wurde es dann, als sie die Besucher volksfestmäßig zum Mitmachen animierte.
Gut, dass es noch Sigur Rós (2. und 3. Foto von oben) gab, das definitive Highlight des Abends! Die Isländer haben wieder einmal gezeigt, dass sie sich in keinster Weise hinter Björk und Gus Gus verstecken müssen. Auf der Bühne waren überall Lampen verteilt, ähnlich wie beim Bühnenbild von Apparat & Band oder Fever Ray. Zur stimmungsvollen Beleuchtung gab es im Hintergrund verstörend melancholische Visuals, davor die Live-Band mit Posaune, Streichinstrumenten und knallendem Schlagzeug. Die unglaubliche Stimme des Sängers tat ihr übriges. Der triefend schöne Gesamtklang zu Nieselregen und Schirmen schien die Zeit zum Stehen bringen zu wollen. Der anschließende Auftritt von The Killers hatte eher einen bierseligen Volksfestcharakter: Die Bandmitglieder um Sänger Brandon Flowers wirkten teilnahmslos und spielten ihr Zeug so gut es ging runter. Dafür, dass es irgendwann anfing zu regnen, kann der Veranstalter nun nichts – die ohnehin bescheidene Stimmung verbesserte das aber sicher auch nicht. Ab 24h ging es für die meisten ab in die Arena, anstatt zur Silent Party mit Kopfhörern auf dem Flughafengelände zu bleiben.
Club X-Berg
Metronomy steuerten charmant wie immer eine Ladung Elektropop zum Programm bei. Ihr Auftritt in der Arena war sicher einer der von den Fans am meisten herbeigesehnten. Währenddessen gab es nebenan im Glashaus When Saints Go Machine zu sehen: Kopenhagener Major-Label-Pop von ausgesprochener Coolness. Sehr tanzbar schlossen sie im Glashaus an andere K7!-Kollegen an.
Crookers, die ihre auch beim Berlin Festival 2012 vertretenen Kollegen Miike Snow und Major Lazer bereits mit Remixen ehrten, bespielten dann ab 3:00 Uhr in der früh die Arena und halfen den eventuell vom vielen Feiern bereits schwachen auf die Beine.
Samstag:
Sizarr lieferten in entspannten Shorts eine gleichermaßen entspannte Show. Interessant: Demnächst gibt es von den Jungs aus Mannheim in Form ihres Albums “Psycho Boy Happy” mehr zu hören. Franz Ferdinand (Foto unten) spielten souverän ihre Hits runter. Stimmung gut, aber auch nicht mehr wirklich neu.
Die, die keine Lust auf Paul Kalkbrenner (Foto unten) auf der Mainstage hatten, haben am Samstag vermutlich die Show der unaussprechlichen SBTRKT besucht und es nicht bereut. Souverän spielten die beiden Herren mit ihren eigentümlichen Masken ihr letztes Konzert in diesem Sommer.
Club X-Berg
Das Megaprojekt Mostly Robot um Jimmy Lidell und Tim Exile erwies sich als schlau kalkulierter Publikumsliebling und brachte die Stimmung in der Arena zum Kochen. Die von Native Instruments zusammengestellte Kollaboration trat dieses Jahr auf dem Sonar das erste Mal zusammen auf. Grandiose Stimme des Sängers im 90er-Jahre-Look, wow!
Parallel bespielten Light Asylum aus Brooklyn das Glashaus. Frontmann Shannon Funchess unterlegte die exotische Mischung aus Gospel, japanischem Pop und melodramatischem Pop der mit seiner einfühlsamen, vibrierenden Stimme: Monumentales Sounderlebnis mit Tiefgang.
Modeselektor lieferten wie immer einen rotzigen Auftritt. Auch nach zwei Tagen Dauerzappeln konnten Gernot und Szary noch die letzten Kräfte der sichtlich müden Partygesellschaft mobilisieren. Die ersten Reihen durften sich über die für Modeselektor obligatorische Champagner-Dusche, Handtücher und Stage-Dives von Szary freuen.
Hingegen war es für den jungen Typen namens Totally Enormous Extinct Dinosaurs es ein rabenschwarzer Tag. Seine Technik schmierte schon vor seinem Auftritt ab und seine Show begann eine halbe Stunde später. Dann versagten ihm die Geräte auch noch zwischendruch, wofür er sich mehrmals entschuldigte. Der Stimmung tat das keinen Abbruch.
BLN.FM verließ das Berlin Festival 2012 mit gemischten Gefühlen. Der Club XBerg war für uns definitiv interessanter als die Show auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen.
Wie fanden die Festivalbesucher das Berlin Festival 2012? BLN.FM fragte nach:
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Hier gibt’s mehr Fotos vom Berlin Festival 2012:
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(Text: Matthias Hummelsiep und Agata Waleczek; alle Fotos: Milan Gonzales)