Wenn die Pet Shop Boys zur Weltpremiere ihres neuen Albums in ein Berliner Theater einladen, ist das schon eine Nummer für sich. Immerhin sind Sänger Neil Tennant und Keyboarder Chris Lowe seit rund 30 Jahren im Musikgeschäft und bis heute eines der erfolgreichsten Popduos überhaupt. Ein eindrucksvoller Moment also, inmitten von sichtlich aufgeregten Fans zu stehen, die ausgestattet mit Blumen und selbstgebastelten „PSB – We love you“-Schildern ihrer Helden harrten. Sehen ließen sich neben diversen Medienvertretern auch allerlei Lokalhelden wie Marcel Dettmann, Annette Humpe und Benjamin von Stuckrad-Barre. Keine Frage, die Vorstellung des neuen Synthie-Werks „Elysium“ war vor allem großer Medienbahnhof. Dabei blieb offen, ob die Wahl des Ortes – das HAU 1 (Hebbel am Ufer), das sonst für kleine alternative Tanz- und Theaterproduktionen bekannt ist – abgeschmackter Promogag oder einfach nur sympatisch “volksnah” war.
Um genau 21 Uhr ging dann das Licht für die halbstündige Show aus – rund 300 Gäste im Saal und unzählige weitere vor Computerbildschirmen, die sich das Konzert im Livestream anschauten, erwarteten die Pet Shop Boys. Mit großer Geste und demonstrativ gereift schritten die beiden auf die Bühne, die in Nebel und Licht lag. Sänger Tennant, der von weitem Bruce Willis erschreckend ähnlich sieht, sah im schicken schwarzen Anzug etwas steif aus. Keyboarder Lowe kam da in seinem schwarzen Outfit schon lässiger rüber.
Musikalisch erinnerte die Veranstaltung ein wenig an den ZDF-Fernsehgarten: Weichgespülte Popmusik in Form neuer Songs wie „Leaving“, „Invisible“ und „Requiem in Denim and Leopardskin“, zu denen der stets lächelnde Tennant dezent mitwippte und versuchte, mit wohl dosierten Handbewegungen den Texten mehr Ausdruck zu verleihen. Geboten wurde in Frischhaltefolie verpackter elektronischer Schlager von einer unbestritten legendären Band aus einer längst vergangenen Pop-Ära. Aber war diese konservierte 1980er-Attitüde noch zeitgemäß? Die Pet Shop Boys scheinen ihre Musik wie in einer Zeitkapsel aufzuheben und das für zukunftsweisend zu halten, wie sich im Text zum neuen Lied „Winner“ andeutet: „This is the moment/we’ll remember/every day for the rest of our lives (…) Let the ride just take us/side by side and make us/see the world through new eyes every day/You’re a winner/I am a winner” – möge der Moment doch verweilen und uns die Welt mit anderen Augen sehen lassen, du bist ein Gewinner und ich bin ein Gewinner. So, so.
Schrecklicher Höhepunkt dieser Vorstellung war der Track „Ego Music“, der frei von jeder Selbstironie das Pop-Business für seinen Personenkult geißelt. Dabei befanden wir uns gerade selbst in einer astreinen „Neil Tennant Show“ – es war seine Stimme, seine professionelle Animation, die der Veranstaltung Form gab. Mit britischen Charme und kleinen Anekdoten zu den Songs, von denen einige übrigens in Berlin entstanden sein sollen, führte er wie ein Moderator durch die Show. Chris Lowe hingegen war eigentlich gar nicht existent, als Bühneninventar bediente er stumm und unbeweglich das Keyboard, starrte ohne eine Miene zu verziehen auf den Bildschirm vor ihm und wurde nicht einmal vom Licht in Szene gesetzt. Da war es manchmal sogar interessanter, den auf Video aufgenommenen und per Bildschirm auf die Bühne projizierten Chorleuten zuzuschauen, die, wenn sie Singpause hatten, minutenlang in angestrengt wirkender Regungslosigkeit verharrten.
Unser Fazit: Durch Veranstaltungen wie diese wird die Diskrepanz zwischen Personenkult und musikalischer Substanz besonders deutlich. Setzen Bands wie die Pet Shop Boys (oder auch New Order) wirklich noch neue Trends oder sind sie gefangen in ihrem eigenen Stil? Immerhin ist es schwer zu glauben, dass die Herren nach einer so einzigartigen Karriere noch Spaß am immergleichen Popgedudel haben. Ist es einfach die Sehnsucht nach alten Helden, die die Leute in Begeisterung versetzt und dafür sorgt, dass das Album schon auf Platz fünf in den japanischen Charts steht, wie Tennant stolz verkündete? Als Zugabe übrigens spielten die Pet Shop Boys eine Version von “I Started A Joke” von den Bee Gees. Vielleicht war da doch etwas Selbstironie.
(Text: Matthias Hummelsiep und Matthias Bauer
Fotos: Twitter-User „DarkBlueShell“, „Emilie“; Foto unten: Matthias Bauer)