Tanzen im Club-Kontext ist eine Selbstverständlichkeit. Der Tanz als Kunstform führt dagegen ein Nischendasein. Eine interessante Kombination aus beidem ergab sich kürzlich bei einer Austellungseröffnung im Haus der Kulturen der Welt. Nach der trockenen Begrüßungsrede fing plötzlich inmitten von abendlichem Vernissage-Publikums und Sektkellnern quer über das riesige Foyer verteilt ein bunter Bevölkerungsquerschnitt zur synchron startenden Musik an zu tanzen, so enthusiastisch als sei es bereits zwei Uhr morgens – Agents Provocateurs, zum Großteil offenbar ambitionierte Amateure, wie sich herausstellte. Der Plan ging auf: Innerhalb kürzester Zeit sprang der Funke über und während draußen noch der Abend dämmerte, formte sich drinnen eine ausgelassene Tanzmeute.
Der Eröffnungsfilm des Festivals Tanz im August (14. bis 30. August) zeigt Szenen vom letztjährigen Festival, in denen die Performance zwar nicht zur Party wird, aber die Tänzerinnen und Tänzer unangekündigt an ungewöhnlichen Orten auftauchten und auf der Oberbaumbrücke, im Tiergarten oder im S-Bahnhof Potsdamer Platz Guerilla-Performances durchführten.
Das diesjährige Festival ist weniger auf solche Effekte der ungewohneten Schauplätze ausgelegt; die Hauptspielorte sind die Theaterstätten des Hebbel am Ufer Hau 1 bis 3, die Akademie der Künste und die Halle Tanzbühne. Das Motto lautet „Listen!“ im Sinne von „Hör mal“, womit die Macher weniger auf die Geräusche anspielen, die zum Tanzen animieren oder Getanztes akustisch untermalen, als Sounds, die Ergebnis oder Teil direkter Teil der Darbietung sind. Sie reichen von den Handclaps des Flamencos über den gezielten Einsatz quietschender Schuhsohlen bis zu gesprochenen Texten und Songs.
Wir haben die interessantesten Produktionen zusammensgestellt:
Is You Me
Das Projekt Par B.L.eux aus Montréal verbindet mit Is You Me auf spannende Weise Tanz und Grafik. Die beiden Tänzer agieren auf einer kleinen Bühnenkonstruktion, die die Grenzen zwischen Zwei- und Dreidimensionalität auflöst. Benoît Lachambre und Louise Lecavalie agieren wie zwei zum Leben erweckte Vektoren auf einem Computerbildschirm. Vervollständigt wird das Bild durch die Zeichnungen Laurent Goldrings, der die weiße Hintergrundfläche mit seinem skizzenhaften Zeichnungen füllt.
17. und 18. August, 19.30 Uhr
Akademie der Künste, Hanseatenweg, Berlin-Tiergarten, S-Bahn: Bellevue
Sylphides
Im letzten Jahr bewegten sich Cecilia Bengolea und François Chaignau beim Tanz im August mit Paquerette ganz nackt auf der Bühne. Ihr diesjähriger Aufritt ergründet das entgegengesetzte Extrem. Beide Tänzer sind vollkommen in einen Latex-Kokon gehüllt. Die schmale Grenze zwischen Leben und Tod, die ihr Stück thematisiert, besteht in realiter aus einem kleinen Atemschlauch.
19. August 21.30 Uhr und 20. August, 21.00 Uhr
Podewil, Klosterstraße 68, Berlin-Mitte, U-Bahn Klosterstraße
Muscle
An Muscle arbeiten vier Menschen aus den unterschiedlichsten Feldern: Der Musiker Arto Lindsay, der Tänzer Richard Siegal, der Softwaredesigner Peter Zuspan und Lichtdesigner Gilles Gentner zielen mit Muscle auf synästhetische Wahrnehmung ab.
16. und 17. August, 21.30 Uhr
Sophiensäle, Sophienstraße 18, Berlin-Mitte, U-Bahn Weinmeisterstraße
Not About Everything
Daniel Linehan konzentriert die Bewegung auf einen ihrer wesentlichen Aspekte: die Rotation. Wie ein tanzender Derwisch dreht er sich ununterbrochen im Kreis, variiert seine Geschwindigkeit, kommuniziert mit dem Publikum und scheint dabei in eine Art Trance zu verfallen, die ihn jedoch zu höchster Konzentration befähigt.
23. und 24. August, 20 Uhr
Podewil, Klosterstraße 68, Berlin-Mitte, U-Bahn: Klosterstraße
Lost Is My Quiet Forever
Zusammen mit dem Komponisten und DJ Gary Shepherd setzt die Choreografin Nicole Beutler aus Amsterdam eine fiktive Oper in Szene, die auf klassischen Liedern aus dem 17. Jahrhundert von Henry Purcell basiert. Das fünfköpfige Ensemble wird durch einen Countertenor und eine (Pop-)Sängerin ergänzt. Eine „Pop-Oper“ im allerbesten Sinne.
25. August, 21.00 Uhr und 26. August, 20.00 Uhr
HAU 2, Hallesches Ufer 32, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn: Möckernbrücke
The Song
Die Gruppe Rosas aus Brüssel haucht The Song von Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker Leben ein und begibt sich dabei in „eine Art Transitzone zwischen mathematischer Präzision und menschlicher Freiheit“. Es ist spannend zuzusehen, wie die zehn Tänzer aufeinander reagieren, mal als Gruppe und dann wieder als Individuen agieren. Der Mensch steht klar im Mittelpunkt und verschafft sich mitunter auch durch quietschende Fußsohlen Gehör.
27. bis 29 August, 19.30 Uhr
HAU 1, Stresemannstraße 29, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn: Möckernbrücke
Bodies in Urban Spaces
Eine Guerilla-Truppe aus zwanzig Berliner Tanzenden macht sich auf den Weg durch den urbanen Raum. Es gibt keine feste Bühne und keinen konkreten Spielort, die Gruppe zieht über Straßen und Plätze und verändert für den Moment den Raum, dem sie bei ihrer Tour – auf einer alles andere als theoretischen Ebene – alternative Aktionskonzepte anbieten.
21. und 22. August. 18.30 Uhr
Open-Air, Treffpunkt: Verkehrsturm am Potsdamer Platz; Ziel: Hau 2, Hallesches Ufer 32, Berlin-Kreuzberg
Tanz im August 2009, 14. bis 30. August, verschiedene Spielorte