Steve Jobs ist tot – es lebe Steve Jobs! So in etwa hieß es vor gut einem Jahr, als der visionäre Apple-Mitbegründer, dessen Genialität die Menschheit Errungenschaften wie iPod, iPhone und iPad verdankt, seinem Krebs-Leiden erlag. Sich der Verantwortung gegenüber seinen „Jüngern“ bewusst, hatte Jobs natürlich schon zu Lebzeiten einen Journalisten mit einer Biographie beauftragt und diesem lang und breit seine Lebensgeschichte erzählt. Wie zu erwarten, wurde das Buch ein Bestseller – das Interesse an dem Mann, der Apple zum wertvollsten Unternehmen des Planeten gemacht hat, dem „Super-Guru“ der High-Tech-Branche, der der nach Individualität strebenden kreativen Mittelschicht das Statussymbol schlechthin geschenkt hatte, war enorm. Nun hätte man es dabei belassen können. Stattdessen kommt heute ein Interview mit Steve Jobs in die Kinos, das trotz bemerkenswert schlechter Bildqualität interessante Einblicke in die Denkweise des Meisters gibt.
1995 interviewte der Fernsehjournalist Robert X. Cringely den damals vierzigjährigen Steve Jobs für eine Dokumentation über den Aufstieg der Computer-Branche unter dem Titel „Triumph of The Nerds“. Das Original ging jedoch verloren und wurde – zufällig – fünfzehn Jahre später von Regisseur Paul Sen auf einer alten VHS-Kasette in dessen Garage wiedergefunden. Das erklärt dann auch die miserable Bildqualität.
Das wirklich Interessante an dem etwa einstündigen Gespräch mit Jobs ist der Zeitpunkt, zu dem es aufgenommen wurde. 1995 hatte Jobs Apple bereits nach einem heftigen Streit mit dem Vorstand verlassen und leitete seine eigene kleine Computer-Firma NeXT. Erst zwei Jahre später würde er zurückkehren, Apple vor dem Ruin retten und seine NeXT-Software zum Kernstück des ersten iMacs machen. Aus diesem Grund erleben wir Jobs im Film ausgesprochen offen und charismatisch. Es ergibt sich die Charakterstudie eines Visionärs, der schon fast krankhaft von sich überzeugt war, eines unbarmherzigen Perfektionisten. Darüber hinaus werden bekannte Zitate á la „Microsoft ist geschmacklos.“ endlich in einen sinnvollen Kontext gesetzt.
In „Steve Jobs – The Lost Interview“ erwarten den Zuschauenden keine überwältigenden Enthüllungen oder neuen Erkenntnisse. Dennoch ist es durchaus sehenswert, den „großen Steve Jobs“ vor seinen größten Jahren zu erleben und die Geschichten mit seinen eigenen Worten zu hören. Wem dafür der Gang ins Kino zu aufwendig ist, dem sei verziehen. Echte Apple-Jünger werden sich den Film sowieso lieber für vier Dollar bei iTunes ausleihen.
Steve Jobs – The Lost Interview, USA 2010, Dokumentation, 66 Minuten, ab 7. September unter anderem im Kino Babylon, Dresdener Straße 126, Berlin-Kreuzberg, U-Bahn: Kottbusser Tor