Oh, diese Langweiler! Jetzt kommen die wieder mit ihrer übersensiblen Minimalmusik angeschlurft! Nicht selten hörte man solchen Spott, als sich herumsprach, dass The xx knapp drei Jahre nach ihrem gefeierten Debüt ihr zweites Album veröffentlichen würden. Und, bei aller Sympathie für die melancholischen Londoner: ganz daneben trifft die Pauschalkritik nicht. Doch das ist natürlich nur die halbe Wahrheit.
Als 2009 das erste, quasi namenlose Album erschien, konnte man dies als eine Art Jugendroman betrachten, der von Introversion, Verletztlichkeit und der Auslotung der eigenen Gefühlstiefen erzählt. Damals waren die frühreifen Musiker noch keine 20 Jahre alt. Den Nachfolger „Coexist“ mag man nun als Entwicklungsroman verstehen, in dem es um die Entfaltung der Identität geht – und um die Erprobung neuer Facetten des eigenen Charakters. Denn genau das findet auf dem neuen Album statt, wenn auch sehr vorsichtig dosiert.
Die musikalischen Veränderungen sind dementsprechend von eher behutsamer Natur. Ja, es gibt immer noch die verhallten Gitarren, die einsam in den weiten, dunklen Raum rufen. Gleich im ersten Stück „Angels“ findet man sich im bekannten, stark reduzierten Klangspektrum des Trios wieder. Doch von dort aus geht es plötzlich weiter. Denn der Produzent und The xx-Soundbastler Jamie Smith ist durch die große weite Welt gereist, hat als Jamie XX aufgelegt, kongeniale Remixe produziert und den ein oder anderen tanzbaren Rhythmus angeschlagen. Im Gegensatz zu seinen Freunden, den sanften Sängern Romy Madley Croft und Oliver Sim, scheint Jamie ein Kind von nicht ganz so großer Traurigkeit zu sein. Mit den Sound-Souvenirs, die er den beiden aus den Clubs mitgebracht hat, wissen diese glücklicherweise etwas anzufangen. In der Mehrzahl der Tracks nämlich, und das ist die wesentliche Neuerung auf „Coexist“, tauchen vorsichtige, minimale House- oder Garage-Beats auf, die der schleppenden Melancholie eine geradezu vitale Struktur geben. Besonders deutlich wird dies beim Doppeltrack „Reunion / Sunset“ sowie bei „Swept Away“, das fast ein wenig nach vorne geht. Aber natürlich nur fast.
Und es kommt noch wilder: Fast jeder Track birgt die eine oder andere musikalische Überraschung. Erstaunlich oft wagen sich Romy und Oliver aus ihrem angestammten Stimmspektrum und singen höhere Töne, trauen sich in „Missing“ gar an verhallte Vokalisen. Hier und da erscheinen neue Sounds und Synthies, zum Beispiel bei „Chained“, bei „Try“ oder aber bei „Reunion“, wo wir den Steel-Drum-Klängen aus dem tropisch-depressiven Jamie XX-Track „Far Nearer“ begegnen. Und im leicht kitschigen „Our Song“, dem letzten Stück des Albums, werden die typischen xx-Gitarren auf links gedreht und zu einer Klangwand verwoben.
Zurück zum Anfang: Selbst wenn wir nun wissen, inwiefern sich The xx auf „Coexist“ weiterentwickelt haben, dürfte ebendies dem einen oder anderen viel zu langsam gehen. Vielleicht zu recht. Doch Erwachsenwerden braucht Zeit – und wer nicht die Geduld hat, The xx bei ihrer sehr langsamen Entwicklung zu begleiten, kann ja auf die zu erwartende Welle vielfältiger neuer Remixe warten. Oder später wiederkommen, zum Beispiel beim dritten Album.
Preview:
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Tracklist:
- Angels
- Chained
- Fiction
- Try
- Reunion
- Sunset
- Missing
- Tides
- Unfold
- Swept Away
- Our Song