Sensate Focus und Mark Fell – Sentielle Objectif Actualité

Das österreichische Label Editions Mego legt in letzter Zeit eine erstaunlich hohe Release-Dichte an den Tag. Dies wird auch daran liegen, dass ein Teil des Outputs auf verschiedene Sublabels umgelegt wurde, die von prominenten Künstlern kuratiert werden: Ideologic Organ wird von keinem anderen als Stephen O’Malley (unter anderem bei Sunn O))) und KTL aktiv) betrieben, um den glitchigen Trademark-Sound von Spectrum Spools kümmert sich Emeralds-Mitglied John Elliott. Anfang des Jahres trat nun ein neues Imprint zur Reihe hinzu: Sensate Focus.

Nach einer ersten 12“ fing das Rätselraten an: Wer steckt hinter dem Sublabel, wer hinter dieser Platte mit dem schlichten Titel „10“, der bald zwei weitere – mit „5“ und „3,33333“ betitelt – folgten? Die Gerüchteküche brodelte und einigte sich schnell: Es kann eigentlich niemand anderes als Mark Fell hinter Sensate Focus stecken. Nicht nur hatte der Sheffielder in den letzten zwei Jahren mehrmals auf Editions Mego veröffentlicht, die beiden Tracks der Auftakt-12“ trugen auch eine Handschrift, die sich schnell als die seine entziffern ließ. Und vielleicht ist der Bleistift, der jeder 12“ bei Bestellungen direkt beim Label mitgegeben wird, ein verschmitzter Hinweis auf eben diese künstlerische Signatur.

Fell ist bekannt dafür, sich musikalisch mit seiner eigenen Sozialisation auseinanderzusetzen, getrieben von einem fast überheblichen Ehrgeiz. Denn der 1966 geborene Produzent will keine Traditionen fortführen, sondern die Sounds der Genres, mit denen er aufgewachsen ist und die ihn im Laufe seines Lebens geprägt haben, neu interpretieren. Mehr als das: Er will sie sogar optimieren, es besser machen als seine Vorbilder.

http://soundcloud.com/experimedia/sensate-focus-sensate-focus-5

Auf den Sensate Focus-12“s nähert er sich ohne Zweifel der House-Musik an. Es werden alle Klischees bedient: die federnde Bassdrum, die Handclaps, die Schwurbelchords und Vocalschnipsel, denen man schwerlich einen konkreten Text zuordnen kann. Allein diese semantisch leeren Einsprengsel klingen jedoch wie ein kleiner kritischer Kommentar auf ein Genre, in dem der Groove stets Vorrang vor der Message hat.

Und auch diesen Groove zerschnipselt Fell. Zwar behauptete er kürzlich in einem Interview mit bleep.com, dass er mit den Tracks durchaus den Dancefloor anzielen würde, so einfach dürfte es einem feierwilligen Publikum jedoch nicht fallen, sich zu den bisher sieben Tracks zu bewegen. Obwohl die mit jedem Release an Eingängigkeit zu gewinnen scheinen, sperren sich die hektisch zischenden Hi-Hats, die synkopierten Handclaps und die unberechenbar polternden Bassdrums gegen jegliches Four-on-the-Floor-Feeling.

Das kann man Fell vielleicht nachtragen und sein Projekt als verkopftes Experiment abkanzeln, man kann es aber auch einfach für das nehmen, was es letztlich ist: Ein Dekonstruktionsversuch von House-Musik, der seinem Namen tatsächlich gerecht wird. Jenseits von Retromanie oder zwanghafter Zeitgenossenschaft seziert Fell den Musikstil mit analytischer Strenge, zergliedert ihn in seine Einzelteile, um im Anschluss ein ganzes Genre neu zu denken. In seiner Optimierungswut macht er auch vor dem eigenen Material keinen Halt: Auch für „10“ bediente er sich bei einem früheren Projekt, einer Kollaboration mit Terre Thaemlitz, und die Sensate Focus-Serie wird noch einmal bearbeitet.

Denn auf „Sentielle Objectif Actualité“ schickt Fell seine sechs Tracks noch einmal durch den elektronischen Fleischwolf. Herausgekommen sind sieben Stücke, die wesentlich dichter, knapper und eventuell auch – man mag es kaum glauben – tanzbarer geraten sind. Sie sind immer noch hypernervös, arbeiten aber die Präzision, die bereits im Ausgangsmaterial greifbar schien, noch deutlicher heraus. Aber hin und wieder schaltet sich doch eine Art Groove ein, hypnotisch und vertrackt, unterfüttert von Chords, die meistens nach Chicago, manchmal aber auch nach Ibiza klingen. Welcher Track für einen Remix Pate stand, ist kaum noch auszumachen. Das ist aber auch egal. Was zählt ist das geglückte Experiment: Denn auch seine eigenen Kompositionen konnte Fell noch optimieren, konnte sie kompakter gestalten und in eine neue Form übertragen.

Glaubt man Fell, so denkt der sich beim Produzieren herzlich wenig, sondern spielt intuitiv mit Instrumenten und Klängen herum. Kann man das einem studierten Künstler abnehmen? Zudem einem, der sich im Umfeld von Raster Noton und anderen Labels, die ebenso experimentelle wie theoretische Wege beschreiten, bewegt? Vielleicht sind das müßige Fragen, eins ist aber sicher: In Wahllosigkeiten ergeht sich Fell nicht.

Man muss die Sensate Focus-Reihe und das dazugehörige Remix-Album schon als Gesamtprojekt betrachten und dem zerhackten Dauerfeuer der Beats seine Zeit lassen. Dann erhascht man irgendwann nicht nur eine Ahnung von Fells Musikverständnis, sondern auch von der Großartigkeit und Kompromisslosigkeit dieser Musik, die keine andere Zuschreibung verdient hat als: Große Kunst. Denn die stellt sich eben gerne mal völlig quer, bevor sie nach und nach ihre Genialität preisgibt.

http://soundcloud.com/experimedia/mark-fell-sentielle-objectif

Preview:

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Tracklist:

  1. SOA-1
  2. SOA-2
  3. SOA-3
  4. SOA-4
  5. SOA-5
  6. SOA-6
  7. SOA-7

(Editions Mego)