Auch wenn das Gespenst der GEMA-Reform zum Jahresbeginn 2013 die Horrorszenarien von auf ewig verriegelten Clubtüren oder wenigstens haushohe Eintritts- und Ibiza-Getränkepreise beschwört. Zunächst lässt sich erst einmal festhalten: Die Stichworte „Feiern“ und „Berlin“ sind eine international beliebte und ebenso bis dato wirtschaftlich sehr fruchtbare Symbiose. Davon zeugt nicht nur die Betriebsamkeit des Flughafens Schönefeld als Transitportal für den Easyjet-Raver ins vermeintliche Elysium der endlosen Party, sondern die geballte ökonomische Potenz des Berliner Amüsierbetriebs mit seinen Tausenden Arbeitsplätzen in Clubs und deren Peripherie. Die Bedrohung dieses Wirtschaftszweiges – derer Berlin bekanntlich nicht allzuviele hat – ist deshalb das gängigste Argument der GEMA-Kritiker.
Dabei wird eine weitere interessante Frage unterschlagen: Was passiert eigentlich mit dem Druffi, wenn „Musikveranstaltungen, die einen Zeitraum von acht Stunden überschreiten“ nochmal extra besteuert werden und nach genau dieser Zeit enden könnten? Wird der Druffi dann metaphysisch obdachlos, marginalisiert, aus dem Club auf freudlose private Afterhours verdrängt? Anders gefragt: Ist er als archetypische Figur einer untergegangenen Partykultur schlichtweg nicht mehr zeitgemäß? Der Druffi war bis dato schließlich nicht weniger als der Protagonist des Exzesses und der bis in den Dienstag gedehnten Feierkultur. Wenn Berlin der europäischen Jugend heute als Sehnsuchtsort einer exzessiven Feierkultur gilt, dann sollte man bedenken, dass der Druffi zugleich Pionier und Motor dieses Mythos war. Grund genug bestand es für das Krake-Festival 2012 deshalb, eine literarische Zwischenbilanz zu ziehen.
Im Rahmen einer Lesung in der Berghain-Kantine Anfang August wurde versucht, dem Feiern und seinen Begleiterscheinungen literarisch auf die Spur zu kommen. Drei Berliner Autoren lasen kurze erzählerische Fragmente vor, die im weiteren Sinne von clubbezogenen Ausschweifungen diverser Protagonisten handelten. In den Kurzgeschichten von Uli Hannemann und André Bergelt erwies sich der Wille zum Exzess als zwiespätige Angelegenheit. Der Druffi trat als Figur auf, die zwischen Glanz und Elend vor allem mit letzterem zu tun hat. Der Weg zu Verzückung und Entrückung ist steinig und die mit vielerlei Mitteln angestrebte Ekstase stets vom Scheitern bedroht – sei es durch missmutige Freunde, die sich zu alt zum Feiern fühlen oder bei einer anderen Geschichte durch sexuell-interkulturelle Missverständnisse bei der Afterhour eines französischen Künstlerpärchens, dessen Bekanntschaft man im Garten eines unschwer zu erratenden, hier unter dem Pseudonym „Zoo“ firmierenden Clubs machte. Die in den Geschichten stets aufblitzende Vergeblichkeit allen hedonistischen Strebens zeichnete ein melancholisch grundiertes Psychogramm des Druffis. Die Tragik seines Daseins scheint in dem Paradox zu bestehen, dass die artifiziell herbeigeführten Paradiese schon zu Beginn der Nacht unter dem Damoklesschwert des mit aller Macht wiederkehrenden Alltags stehen. Ein Eskapismus, der bekanntlich umso aussichtsloser wird, je länger die Party voranschreitet. Die Melancholie des Druffis speist sich aus der alten Weisheit, dass alle Lust Ewigkeit will, aber niemals erreichen kann.
Anne Hahn erzählte davon, dass Berlin und der Exzess bereits lange vor Techno vermählt waren. Eine melancholisch grundierte Rückblende in die Punkszene Ostberlins in den 80ern war das Setting für eine Geschichte zwischen Rausch und Verzweiflung. Die Autorin erzählte von im billigen Rotwein ertränkten Gefühlen von Zärtlichkeit und Niedergeschlagenheit und entführte die Zuhörer auf eine subkulturelle Odyssee durch „Zerstörungspartys im Plattenbau“. Ihre zweite Geschichte machte beinahe schmerzlich bewusst, dass sich auch die glücklichen 90er schon musealisiert anfühlen und nur noch im nostalgischen Inventar der Erinnerung zugänglich scheinen: Ein Elektro-Kellerclub im noch ungeordnet-anarchischen Prenzlauer Berg und ein LSD-Trip, der zur Fahrt an die eiskalte Ostsee animiert, waren die Zutaten dieser wehmütigen Erinnerung an das vergangene Provisorium der exzessiven Entgrenzung.
Ob sich das heutige Party-Berlin mit seiner vielfältigen und international bevölkerten Clublandschaft eine Dekade später ebenfalls wie eine untergegangene Welt des Exzesses anfühlen wird? Es bleibt abzuwarten, wie sich mit den Metamorphosen der Partykultur auch die Sehnsüchte und Nöte des Druffis ändern. Während die Phänomenologie des Exzesses für das gegenwärtige Berlin eher tragikomisch und unglamourös ausfiel, schwelgte der literarische Abend des Krake-Festivals dafür umso schwermütiger und nostalgischer in der Vergangenheit.