Hermaphroditen und Albino-Schwertschlucker auf Rummelplätzen, gespenstisch-leere Häuser und Landschaften in Disneyland und Hollywood, Nudistencamps und Transvestitenclubs, Menschen mit Behinderung – das Werk der New Yorker Fotografin und Fotojournalistin Diane Arbus (1923-1971) ist durchdrungen vom Absonderlichen, Schrulligen und Schrägen. Ihre teilweise schockierenden Bilder zeigen das Amerika der 1960er Jahre von seiner anderen, extremen und exzentrischen Seite. Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zeigt derzeit eine Auswahl von etwa 200 Fotografien und gibt Einblick in Ursprünge und Inspirationsquellen der Künstlerin.
Angefangen hat Diane Arbus als Modefotografin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Allan Arbus betrieb sie ab 1946 in New York ein eigenes Studio und fertigte Auftragsarbeiten für verschiedene Magazine wie „Glamour“ und „Vogue“ an. Recht bald befand sie diese Arbeit für zu einseitig. 1957 besuchte sie deshalb einen Workshop für Fotografie bei Alexei Brodowitsch, dem legendären Art Director der internationalen Modezeitschrift „Harper’s Bazaar„. Kurz darauf nahm sie ein Studium bei der österreichischen Fotografin Lisette Model auf und begann sich zunehmend ihren eigenen Ideen zu widmen. Vor allem diese Zeit prägte Diane Arbus’ Arbeit nachhaltig: von Lisette Model lernte sie den Blick auf Jahrmarktartisten und andere Außenseiter zu richten und dem Authentischen an den Rändern der Gesellschaft nachzuspüren. Sie ging in Transvestitenclubs, besuchte Sideshows und knipste alles Skurille, was ihr in den Garderoben vor die Linse kam. Indem sie Exzentriker in alltäglichen Situationen abbildete, schuf Arbus eine seltsame Vertrautheit zum fremd Anmutenden. Dokumente wie das berühmte Portrait „Junger Mann mit Lockenwicklern zu Hause in der West 20th Street“ (1966) beziehen hieraus bis heute ihre besondere Wirkkraft.
Über einen weiteren „Kunstgriff“ bereits in ihrer Anfangszeit als Portraitfotografin gelang es Diane Arbus, ein Markenzeichen zu setzen: 1962 verabschiedete sie sich von ihrer Kamera, einer 35 mm Nikon, und stieg auf die Weitwinkel-Rolleiflex 6×6 cm um. Sie wollte so das Körnige und Grobe in ihren Fotos abschaffen. Im Mittelfilmformat 6×6 cm ließen sich die Oberflächen und Details viel besser ablichten und Unterschiede zwischen „Fleisch und Stoff“ sehen, wie sie sagte. Sehr bald waren das quadratische Format und die ungeraden, schwindenden Ränder der Abzüge ihr zentrales Wiedererkennungs-merkmal. An manchen Stellen bestechen Arbus’ Portraits besonders durch den Moment der Irritation. Sehr viele ihrer Fotos zeigen Menschen, die sich außergewöhnlich ähnlich sind: Geschwister-Paare wie die berühmten Zwillingsmädchen, Nicht-Verwandte im Partner-Look, Liebespaare oder Freundinnen. Diese wiederkehrenden Doppelungen wirken geheimnisvoll. Die Fotos werden hier zu kleinen Erkundungsstudien, die die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Theater, Identität und Rolle ausloten, ohne jedoch enthüllend zu sein.
Die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zeigt die Fotografien ohne Ordnung und Sortierung. Weder ein chronologischer, noch ein thematischer Faden verbindet die Räume. Dennoch stiftet diese Konzeption keine Verwirrung. Der Besucher kann von allen Seiten in das Œuvre der Fotografin eintauchen und neben sehr berühmten auch zahlreiche unveröffentlichte Aufnahmen entdecken. Allein die zwei letzten Räume heben sich ab: Der Raum zur „Chronologie“ und das „Study Centre“ zeigen zahlreiche Notizbücher, Kalender, Briefe, Publikationen und auch Kameras, mit denen Arbus gearbeitet hat. Hier kann man Hintergründe zu einzelnen Lebensstationen erfahren, anhand von handgeschriebenen Arbeitslisten erahnen, wie Arbus gearbeitet hat oder in ihre Publikationen reinblättern.
„Diane Arbus“, noch bis zum 23. September 2012 im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin. U-Bahn: Potsdamer Platz. Geöffnet Mittwoch bis Montag 10-19 Uhr (Dienstag geschlossen). Eintritt 10 € , ermäßigt 7 €.
(Fotos: © The Estate of Diane Arbus)