Das ist: dOCUMENTA (13) in Kassel

Sandwich-Men

Überall hört man die Kulturtouristen schnaufen und stöhnen: „Wer hätte gedacht, dass Kunst so anstrengend ist?“ oder „Ich hatte mir das Wochenende entspannter vorgestellt!“ Auf der documenta, der größten Ausstellung Deutschlands für Gegenwartskunst, gab’s schon immer viel zu sehen. Doch noch nie zuvor hatte die Schau einen so ausgeprägten Marathon-Charakter. Wegen der Vielzahl von Angeboten, themenbezogener Führungen und der weitläufigen Nutzung verschiedener Kasseler Standorte fordert die diesjährige dOCUMENTA (13) von Besuchern eine gewisse Leistungsbereitschaft.

Vor dem Weinbergbunker
Vor dem Weinbergbunker

Man muss nicht erst die „Ausdauer-dTour“ buchen, um zu erfahren, in welchem Maße die eigene Kunstwahrnehmung durch die körperliche Ermüdung eines zehnstündigen Rundgangs verändert wird. Doch angetrieben wird man zum einen durch die Lust auf eine weitere einzigartige Erfahrung, die eines der vielen Kunstwerke verspricht. Zum anderen lässt einen auch der kindliche Entdeckerdrang durchhalten: durch die Platzierung ihrer Kunst in der gesamten Stadt inszeniert die documenta ein Abenteuer für ihre Besucher.

Janet Cardiff und George Bures Miller verwandeln den Wald der Kasseler Karlsaue durch ihre Klanginstallationen in einen magischen Ort. Der Weg dorthin wird von einer spanischen Windhunddame mit einem pinkem Bein gekreuzt. Nicht nur im zu einem Freilichtmuseum umgedeuteten Stadtpark beschleicht einen das Gefühl, man sei auf einer Art surrealen Schnitzeljagd im Auenland. Vom Weinbergbunker bis hin zu den alten Kinos und dem längst vergessenem Hugenottenhaus – die Standorte der Kunstwerke lassen zugleich die Geschichte einer Stadt entdecken.

Pierre Huyghe hat das Vorderbein der Hündin mit Lebensmittelfarbe pink eingefärbt. Foto: U.Schaumlöffel
Pierre Huyghe hat das Vorderbein der Hündin mit Lebensmittelfarbe pink eingefärbt. Foto: U.Schaumlöffel

Für einen documenta-Neuling ist es nicht ganz einfach, zwischen den Exponaten zu unterscheiden, die zur diesjährigen Ausstellung gehören oder jenen, die Überbleibsel vorangegangener Ausgaben sind. Und an den Außenschauplätzen ist es für das ungeschulte Auge oft nicht einfach, Kunst von dem zu unterscheiden, was im Volksmund auch Vandalismus genannt wird. „Ist das Kunst oder kann das weg?“ – die Frage stellt sich bei der dOCUMENTA (13) oft genug. Das war bei der Ausstellung aber immer schon Programm: Joseph Beuys pflanzte 7.000 Eichen in der Stadt, der brasilianische Künstler Tunga inszenierte eine Prozession von Menschenfressern im Hauptbahnhof und Ai Weiwei importierte 1001 Chinesen. Das ist etwas anderes als das Stillleben, das im Museum hängt. Die Erregung öffentlichen Ärgernisses und die gelegentliche Verwirrung des Publikums scheinen Traditionen, auf die man bei der Weltkunstschau nicht verzichten möchte.

Shinro Ohtake
Shinro Ohtake

Carolyn Christov-Bakargiev

Im Vorfeld dieser documenta war es hingegen die künstlerische Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev, welche die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sicherte. Die Kuratorin der Ausstellung gab eine Pressemappe heraus, die nur aus Eigenporträts bestand. Hohn und Spott der Medien folgten. Der wachsenden Unsicherheit, zu was sich eine der bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst in diesem Jahr entwickeln würde, wollte sie auch mit ihrem Konzept „Konzeptlosigkeit“ nicht entgegenwirken.

Am Ende kann man jedoch jedem, dessen Kunstbegriff nicht auf Gemälde und Fotografien fixiert ist, empfehlen, die dOCUMENTA (13) selbst in Augenschein zu nehmen. Für einen Besuch sollte man mindestens drei Tage einrechnen. Bei der Exkursion hilft eine sehr detaillierte App für Smartphones, welche die Orientierung unterstützt und zudem nützliche Informationen zu den einzelnen Werken bereit hält. Eine besondere Empfehlung ist das Hugenottenhaus, in dem man morgens bei kostenlosen Yoga-Sitzungen gemeinsam mit vielen Künstlern in den Tag starten kann. Abends trifft man sich dort wieder zum Musikzieren.

dOCUMENTA (13), noch bis zum 16. September 2012 in Kassel/Nordhessen. Öffnungszeiten täglich von 10 bis 20 Uhr, Tagestickets ab 20,-  € in zahlreichen Kassencontainern vor Ort. Die Bahn bietet ein Spezialticket für Hin- und Rückreise zum Preis von 39,- € an. Weitere Details zu Anreise, Veranstaltungsorten und Preisenkategorien auf der offiziellen dOCUMENTA(13)-Seite.