Bis weit in den Horizont hinein ziehen sich die Einfamilienhäuser, etwas Grün drumherum – und vor allem breite Straßen. Im Hintergrund sind Berge zu sehen, dann der Himmel. Was man auf diesem Foto sieht, ist ein Vorort der US-amerikanischen Stadt Las Vegas in der Wüste Nevadas. Das Bild ist Teil der Ausstellung „Oil“ des kanadischen Fotografen Edward Burtynsky, die noch bis zum 9. September in der c/o-Galerie in Berlin-Mitte zu sehen ist. Die Fotografien zeigen den „Lebenskreislauf“ des Öls, der mit der Förderung und Raffinierung beginnt, sich mit dem Transport des Rohstoffs in Pipelines und Tankern fortsetzt und schließlich in Form von abgewrackten Flugzeugmotoren und Autofabriken endet. Die Ausstellung mit 30 Exponaten ist das Ergebnis mehrerer Reisen des Fotografen in den vergangenen zwölf Jahren.
Die Fördertürme im aserbaidschanischen Baku, einer der Geburtsstätten der modernen Rohölindustrie, beeindrucken nicht nur aufgrund ihrer Hässlichkeit, sondern vor allem wegen ihrer Fragilität, wegen des Rosts, der sich auf ihnen und den Ölcontainern festgesetzt hat. Sie stehen in riesigen Ölseen, das Schwarz des zähen Stoffes glitzert in der Sonne. Hinter den Ölteppichen ist das Kaspische Meer zu sehen. Sofort hat der Betrachter Bilder von auslaufenden Öltankern im Kopf. Den Ölkatastrophen hat Burtynsky ein eigenes Kapitel gewidmet: Thema ist dabei vor allem die Katastrophe vor der Küste der USA im April 2010, als die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ explodierte und über Monate hinweg Millionen Liter Öl ins Meer flossen. Noch immer laufen Gerichtsprozesse gegen die hauptverantwortliche Ölfirma BP.
Beeindruckend sind auch die Fotos vom Teersand-Abbau in Alberta, Kanada. Kanada ist einer der weltweit größten Produzenten von Öl aus Teersanden. Die Herstellung ist aufwändig und, weil der Abbau meist im Tagebau erfolgt, zudem extrem umweltschädlich. Burtynskys Fotos zeigen nicht nur riesige Abbaugebiete, sondern auch gigantische Ölfelder.
Unter dem Titel „Transport“ stellt der Fotograf die Auswirkungen dar, die der Verkehr mit sich bringt. Mit dem eingangs beschriebenen Foto eines Vorortes von Las Vegas weist der Fotograph auf die Pendlermentalität in den USA hin, die riesige Mengen an Öl notwendig macht. Eine Luftaufnahme zeigt eine Autobahn in Los Angeles, die sich mit ihren gewundenen Auf- und Abfahrten über sechs Ebenen zieht. Die Fahrbahnen sind teilweise siebenspurig – und das lediglich in eine Richtung. Ein anderes Bild zeigt eine Brückenauffahrt in Shanghai. Wie auf einer Wendeltreppe winden sich die Autos Kreis um Kreis nach oben. Eines der wenigen Bilder, auf denen Menschen zu sehen sind, nimmt den Betrachter mit in die Fankurve bei einem Autorennen – doch auch hier sind sie kaum mehr als bunte Flecken; hier und da wird ein Arm triumphierend in die Höhe gestreckt.
Ein einzelner Angestellter ist vor einer Schiffsabwrackwerft in Chittagong in Bangladesh abgebildet. Doch auch er ist nur Beiwerk, den größten Teil des Bildes nimmt das Schiffsungetüm im Hintergrund ein. Mit seiner hellen Uniform passt der Arbeiter farblich zum Sand auf dem Boden und zum rostigen Schiff. Er stützt sich auf eine Schippe, seine bloßen Füße sind dreckverschmiert.
Burtynsky machte Industriefotografie „aus einer gewissen Ehrfurcht vor den Dingen, zu denen wir als Spezies in der Lage sind“, wie er im Begleittext zur Ausstellung schreibt. Nach zwanzig Jahren sah der Künstler Öl nicht mehr nur als „Energiequelle, die alles möglich macht“, sondern auch als „Bedrohung, die unseren Lebensraum immer mehr gefährdet.“ Seine Kritik an unserem Streben nach Wohlstand und Wachstum hat er eindrucksvoll in seinen Bildern festgehalten.
“Edward Burtynsky. Oil”, noch bis zum 9. September 2012 in der c/o-Galerie, Oranienburger Str 35/36, Berlin-Mitte. U-Bahn: Oranienburger Tor. Geöffnet täglich 11-20 Uhr. Eintritt 10 €, ermäßigt 5 €.
Fotos: © Edward Burtynsky (Promo)