Früh war’s für Berliner Verhältnisse, trotzdem standen die Besucher am Austragungsort des alten Postbahnhofgeländes bereits Samstag mittag Schlange. Dort kämpften unter den strengen Augen des IHOC (Internationales Hipster Olympiaden Commitee) und der Veranstalter von kultmucke.de Berlins Szenetypen um den Titel „Hipster des Jahres 2012“.
Die zweite Auflage des Spektakels wurde mit der feierlichen Verlesung des Hipster-Manifests eröffnet. Adressat war die Stadt Berlin, gefordert wurden iPhone-Ladestationen in der U-Bahn und mehr Jutebeutel-Garderobehaken im Berghain.
Nach dem Startschuss bewiesen die anfänglich zwölf Teams, dass sie mit Accessoires mehr können, als den eigenen Individualismus auszudrücken. Sie traten in den olympischen, in Hipster-Kreisen fest etablierten Disziplinen wie Hornbrillen-Weitwurf, Jutebeutel-Sackhüpfen und Skinny-Jeans-Tauziehen gegeneinander an. Doch nicht alle der letztjährigen Sportarten hatten im Vorfeld den Zeitgeist-Check bestanden. So wurde beispielsweise das Starbucks-Becher-Wettrollen als Mainstream eingestuft und musste dem Bubbletea-Perlen-Tauchen weichen.
Die Wettkämpfer entsprachen äußerlich weniger dem spöttisch belächelten Stereotyp, als der durchschnittliche Olympiaden-Zuschauer selbst. In Röhrenjeans lässt es sich eben schlecht um Vintage-Plattenspieler rennen oder Mate-Kisten stapeln. Ein bisschen Kriegsbemalung, ein paar Indie-Haarbänder und Nerdbrillen fehlten natürlich trotzdem nicht.
Nach acht Runden wurde der Punktestand zusammen gezählt, wofür die Schiedsrichter ganz ironisch das iPhone nutzten. Beim großen Konfetti-Knall durfte das Siegerteam in die Goldmedaille beißen, es war das durch den Radio-Senders JAM FM gecastete Team. Sie sind die Super-Hipster 2012.
Ohne Frage: Kaum ein anderes urbanes Phänomen, mit Ausnahme vielleicht der Gentrifizierung, ist vergleichbar tot-thematisiert. Doch auch wenn kein Klischee ausgelassen wurde funktionierte die Veranstaltung.
Grund dafür war vor allem das stolze Rahmenprogramm und die Liebe zum Detail der Veranstalter. Beim Kreativmarkt und durch die relaxten Wohnzimmerkonzerte im alten Postbahnhofhalle wurde die Olympiade zur Nebensache. Verweilen konnte man zum Beispiel in der Berlin-Notes-Ausstellung oder vor der Hipster-Ahnen-Galerie. Die bot eine illustre Riege mit David Hasselhoff, Gandalf oder Steve Urkel. Auf dem Außengelände stand eine bunt gezimmerte Swap-Box zum Vintage-Gegenstände-Tausch bereit sowie eine Leinwand. Auf der ließ man die Welt in bunter Farbe wissen, wie man Kult definiert. Wer sich zwischendurch noch für den Spielstand interessierte, konnte diesen am überdimensionalen Rechenschieber ablesen, an dem die Kugeln durch Barbieköpfe ersetzt wurden.
Musikalische Open-Air-Knaller gab es in den ausgedehnten Spielpausen. Sympathisch in der Themenwahl wirkten die zwei Rapper von Smith & Smart bei ihrem „Disco-HipHop-Elektro-Songperlen-Massaker“. Trashiges Highlight war am Abend der Auftritt von McFitti, der das Bad in der Menge nicht scheute und seinen Hit „30° Grad“ gleich mehrmals zum Besten gab. Das Liederrepertoire war ihm schlichtweg ausgegangen. Spätestens zu dem Zeitpunkt waren dann Luft, Gesichter, Dekolletés und Drinks endgültig voll von Glitzerschminke und Konfetti.
Die Wahl der Acts bewies, dass die Veranstaltung sich den Gefallen getan hatte, sich selbst nicht ganz ernst zu nehmen. So konnte die Hipster-Olympiade zum Minifestival werden. Der politische Anspruch der Initiatoren, die Hipster-Gemeinde ironisch zu kommentieren ist ebenfalls aufgegangen. Die Selbsterkenntnis der Besucher: ein bisschen Hipster steckt in uns allen.
(Autorin: Lisa Kretschmer), (Fotos: Lisa Kretschmer, Victoria Kretschmer, Maxi Bethge)