Als künstlerisches Motiv hat der Wald noch lange nicht ausgedient: Seit Jahrhunderten zieht er die Menschen immer wieder in seinen Bann, liefert Inspiration. Spätestens in der Romantik wird er dann endgültig zum Schauplatz des Wunderbaren und Rätselhaften. Diese Faszination hat in den letzten Jahren sogar das musikalische Genre erfasst, das allein dem Namen nach im größtmöglichen Widerspruch zur Natur stehen sollte: Techno beschränkt sich nicht mehr auf post-industrielle Ästhetik, setzt seine Grenzen nicht mehr an den metallenen Brandschutztüren von Heizkraftwerken und Gitterzäunen verlassener Fabrikhäuser.
Das Urbane gegen Flora und Fauna einzutauschen ist also keine neue Idee, wird aber auf Christian Löfflers Debütalbum aufs Neue umgesetzt. Das Werk heißt „A Forest“ und passt sich wunderbar in den Werdegang des jungen Produzenten ein. Das Label, auf dem „A Forest“ erschienen ist (und dessen Mitbegründer Löffler ist), heißt Ki – das ist japanisch für „Baum“. Und das Nebenprojekt, mit dem Löffler sich melodramatischen, pianolastigen Singer/Songwriter-Kompositionen mit elektronischen Versatzstücken widmet, trägt den Namen „A City Is A Tree“.
„A Forest“ wurde vollständig produziert auf der deutsch-polnischen Halbinsel Usedom, nicht weit entfernt von Löfflers Heimatstadt Greifswald, in einem abgelegenen Haus mit Blick auf den – natürlich – Wald, der sich vor dem Fenster des Domizils erstreckte und in dem Löffler, der auch als bildender Künstler und Fotograf arbeitet, das Coverbild seines Debüts aufnahm. Zum audiovisuellen Gesamtkunstwerk erweitert wird „A Forest“ von bisher drei Videos: „Feelharmonia“ wird von den verwischten Impressionen eines Waldspaziergangs, der Mal um Mal ins Unheimliche abzudriften droht, begleitet, „Blind“ zeigt drei schlafwandelnde, traumtänzelnde Frauen auf ihrer Flucht vor der Tristesse des Großstadtlebens, im Video zu „Eisberg (Hemal)“ schließlich werden mit verhuschten Schnitten immer wieder Pflanzen eingeblendet, die unter der Wasseroberfläche von aufwirbelndem Sand umspielt werden.
Und die Musik? Ist die so magisch, gar eskapistisch, wie man nun denken könnte? Ist „A Forest“ natürlich, organisch und stadtflüchtig? Nun, zuallererst handelt es sich um ein souveränes Techno-Album, in dem sich alles am rechten Platz befindet. Die Bassdrum wummert nicht, sie geht mit Tempi zwischen 120 und 140 bpm direkt in den Puls über, unterfüttert von pumpenden, aber trotzdem unaufdringlichen Basslines. Die zwölf Tracks – auf der Vinylversion fehlen „Swift Code“ und „Signals“ – setzen nicht hauptsächlich auf Groove oder vertrackte Rhythmen, sondern vielmehr auf Straightness und klangliche Tiefe zugleich. Wann immer der Beat zu langweilen droht, setzen Hi-Hats synkopisch Akzente, erweitern Perkussionselemente wie zum Beispiel Klanghölzer den Rhythmus und garantieren verschwurbelte Chordflächen harmonische Abwechslung.
Im Spannungsfeld von (gerade noch) Tanzbarkeit und melancholischer Grundstimmung entwickelt sich „A Forest“ Stück für Stück zu einem gleichermaßen mitreißenden wie dichten Album. Vom Opener, dem fast achtminütigen Titeltrack mit seinen verfremdeten Feldaufnahmen, über „Eleven“, das sich mithilfe der lasziven wie fragilen Vocals von Me-Succeeds-Sängerin Mohna schnell als Höhepunkt erweist, bis zum introvertierten Finale von „Slowlight“ spannt Löffler einen logischen, stimmungsvollen Bogen. Ausrutscher passieren ihm dabei so gut wie keine. Lediglich das housige „Feelharmonia“, das die dänische Sängerin Gyr Bagøien besingt, nutzt sich ähnlich schnell ab wie das titelgebende, müde Wortspiel. Mit dem ätzenden, über einem aggressiven Beat hüpfenden Melodie-Geglucker von „A Hundred Lights“ zieht Löffler noch einmal in punkto Härte und Geschwindigkeit kurz vor Abschluss gehörig an. Am deutlichsten hervor sticht allerdings „Swift Code“. Nicht nur musikalisch fällt der Track mit seinen Dark Ambient-Anleihen und seinen pulsierenden Subbässen aus dem Rahmen. Über der düsteren Klangkulisse liest der Lyriker Marcus Roloff ein Cut-Up einiger seiner Gedichte. Er fängt damit nicht nur inhaltlich die Thematik des Albums auf, sondern trägt seinen Teil dazu bei, „A Forest“ von allen etwaigen Esoterikvorwürfen freizuschlagen.
Die musikalische Geradlinigkeit, die das Album ansonsten prägt, wird allerdings selten aufgelockert. Statt auf Experimente setzt Löffler auf Beständigkeit, statt markanter Brüche verlässt er sich auf tiefenwirksames Klangdesign. Die Echosounds, die verwaschenen Harmonien und das effektgeschwängerte Rauschen haben dabei eine nahezu synästhetische Wirkung. Und dann steigen aus dem Klang tatsächlich Bilder von vernebelten Wäldern auf. „A Forest“ frönt einem gewissen Hang zur Morbidität, zum Unheimlichen, lässt dabei aber nicht an Eingängigkeit vermissen und erzählt mehr als die introvertierte Leier von Zivilisationsflucht und Waldeinsamkeit. Mit seinem Debüt hat Christian Löffler ein altes Thema soundgewaltig neu aufbearbeitet und ein Album geschaffen, das mehr als vielversprechend ist.
Preview:
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Tracklist:
- A Forest
- Pale Skin
- Eleven (feat. Mohna)
- Ash & Snow
- Feelharmonia (feat. Gry)
- Signals
- Blind
- Eisberg (Hemal)
- Field
- Swift Code (feat. Marcus Roloff)
- A Hundred Lights
- Slowlight