Guido Möbius – Spirituals

Spirituals sind die als Vorläufer des Gospel geltenden religiösen Lieder, die im 16. Jahrhundert von den afro-amerikanischen Sklaven in den USA gesungen wurden. Dass ausgerechnet Atheist Guido Möbius sich dieses Genre als Inspiration für sein viertes Album ausgesucht hat, klingt zunächst gewagt. Aber offensichtlich hat er sich etwas dabei gedacht.

Möbius‘ Werke zeichneten sich in der Vergangenheit besonders durch den dadaistischen Einsatz von Sprache aus. Konventionelle Texte spielten so gut wie keine Rolle, die Stimme wurde als Instrument gesehen. Auf „Spirituals“ folgt nun die 180-Grad-Wendung: verständlicher Gesang und Sprache überall, sechs Stücke sind sogar mit traditionellen Gospeltexten bestückt. Thematisch dreht sich alles um das unüberschaubare Gebiet der Spiritulität – Apokalypse, Transzendenz, Erlösung und Verdammnis werden thematisiert und unterstützen damit Möbius‘ Entwicklung vom Anti-Text hin zum Über-Text. Und auch musikalisch wird hier einiges aufgefahren.

Den Versuch, das Album in ein Genre-Korsett zu pressen, sollte man daher gar nicht erst unternehmen – es ist hoffnungslos. Experimentell klingt alles auf „Spirituals“, Möbius arbeitet weiterhin gerne mit Geräuschen und Field Recordings, doch die Richtungen, die diese Klangwerke einschlagen, sind zahlreich. So beginnt der Opener „All Around Me“ mit Störgeräuschen und Sprechgesang, der von einem feuerspeienden Lord berichtet, und entwickelt sich dann zu einem verschachtelten Track, der erst durch die hochgepitchte Gesangseinlage in letzten Drittel den Feinschliff verpasst bekommt. „Judgment“ hingegen erinnert zunächst an die klassischen Worksongs der Feldarbeiter und verwandelt sich dann unter Einsatz eines Gitarrenriffs, das auch von den Red Hot Chili Peppers sein könnte, in ein wirres, aber funkiges Ding. „Chili“ ist übrigens ein gutes Stichwort, erinnert doch der rudimentäre Rap mit grooviger Hintergrundmusik in „The Reign Of Sin“ stark an Chilly Gonzales zu seinen ‚The Worst MC‘-Zeiten. Assoziationen eines manischen Predigers drängen sich auch bei „The Right Thing“ auf, das mit Gospelelementen und erneutem Gitarreneinsatz überzeugt und sich als vorwärts gehende, wenn auch kurze Elektrorock-Nummer entpuppt.

Auch die dunkle Seite der Spiritulität darf auf einem solchen Album nicht fehlen: „All Evil Ways“ trägt das Böse bereits im Titel und verbreitet genau diese düster-bedrohliche Atmosphäre, die man sonst eher im Dark Metal erwarten würde. „Babylon’s Falling“ schließlich befasst sich sogar mit der drohenden Apokalypse.

„Spirituals“ ist anders als seine schon recht außergewöhnlichen Vorgänger – und sowieso anders als ein Großteil der Alben, die in experimentellen Gefilden produziert werden. Möbius‘ Einflüsse schwirren irgendwo zwischen Future Jazz, Electrorock, Electronica und eben Gospel-Spirituals herum. Wie ernst man die religiöse Message nehmen kann, die in den neun Tracks angedeutet wird, lässt sich nicht endgültig entscheiden. Fest steht jedoch, dass „Spirituals“ ein durch und durch unterhaltsames Album ist, das trotz seiner speziellen Machart erstaunlich zugänglich daher kommt und eine willkommene Abwechslung für jedes gelangweiltes Ohr darstellt.

Preview:

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Tracklist:

  1. All Around Me
  2. Judgment
  3. The Right Thing
  4. Godheas Appears
  5. Babylon’s Falling
  6. The Reign Of Sin
  7. All Evil Ways
  8. Blesses Sleep
  9. Through The Darkness

(Karaoke Kalk)