Von wegen „Wilder Osten“! Was vielleicht für das äußere Sibirien gilt, wird beim Ausflug über die Oder schnell widerlegt. Zum Auftakt des polnischen Festival-Sommers 2012 reiste BLN.FM an die sehr gesittete Ostseeküste. Denn dort lockte das „Heineken Open’er“ mit einem hochkarätigen Line-Up aus Indie und elektronischer Tanzmusik etwa 80.000 Menschen auf den Flugplatz Gdynia-Kosakowo bei Danzig. Auf dem Programm standen neben Bloc Party, The xx, Franz Ferdinand und SBTRKT auch Künstler wie Björk oder die amerikanischen HipHop-Titanen Public Enemy. Außerdem waren Jamie Woon, Major Lazer und Orbital mit dabei.
Björk lieferte eine gewohnt extravagante und farbenfrohe Show ab, unterstützt durch einen Frauenchor und eine riesige Orgel auf der Bühne. Dagegen war der Auftritt von Justice eher enttäuschend: Zum Einen waren die Franzosen für das Publikum gar nicht sichtbar. Und zweitens hatte man musikalisch eher das Gefühl, die beiden hätten schlicht ein vorgemischtes Set in den CD-Spieler geschoben. Dieses Manko sollte durch eine opulente Lichtshow kaschiert werden, doch spätestens als für mehr als eine Minute die Musik mitten im Track vollkommen abbrach, war die Playback-Show einfach nur noch peinlich. Der britische Dubstep-Künstler SBTRKT hingegen brachte als letzter großer Act des Festivals basslastige Klänge auf die Bühne, nach eigener Aussage war es sein bis dato bester Festival-Gig überhaupt.
Das „Heineken Open’er“ bot neben einem vielseitigen Musik- jedoch auch ein umfassendes Kulturprogramm: das Museum für Moderne Kunst Warschau zeigte eine Ausstellung mit dem Titel „Video Killed The Radiostar“, das Nowy Teatr Warschau zeigte eine fünfstündige (!) Inszenierung des polnischen Theater-Papstes Krzysztof Warlikowski. Deutlich kürzer, aber genauso intensiv präsentierte sich das britisch-deutsche Theaterprojekt Gob Squad unter Beteiligung des Berliner HAU. Willkommene Extras wie Riesenrad, Modeshows oder die schon obligatorische „Silent Disco“ vervollständigten das Rahmenprogramm.
Das hauptsächlich polnische Publikum orientierte sich modisch passend zur Musik selbstbewusst am britischen Indie-Klamotten-Stil. Für viele von ihnen war das Festival ein Höhepunkt des Jahres und das wichtigte polnische Musikfestival überhaupt. Internationale Konzertbesucher kamen zwar relativ wenige, doch diese Eingeweihten freuten sich dann aber über das gute Programm und die nach wie vor verhältnismäßig günstigen Preise.
Auf dem Festivalgelände herrschte übrigens ein ungewohntes Maß an Zucht und Ordnung: nicht nur war es untersagt, sich auf die Schultern anderer zu setzen, auch durften alkoholische Getränke nicht mit vor die Bühne genommen werden. Eigene Getränke waren sogar auf dem Campingplatz verboten. Dies führte allerdings dazu, dass es auf Festivalgelände und Campingplatz wesentlicher nüchterner und ruhiger zuging als auf vergleichbaren Festivals hierzulande.
Unser Fazit: Das „Heineken Open’er“ ist vor allem für Liebhaber von Indie-Musik, aber auch für Fans elektronischer Musik eine preis- und lohnenswerte Alternative zu den Großfestivals in Deutschland. Besonders diejenigen, denen es nicht auf das bierselige Zeltplatzleben ankommt, sondern auf ein wohlüberlegtes Line-Up und auf ein anspruchsvolles Begleitprogramm, finden hier eine ruhige Bleibe.
(Text: Arne Markuske und Bruno Dietel)