Jam City – Classical Curves

Jam City - Classical Curves - CoverEine Landschaft aus Glasscherben, Handys und Motorrädern bei Sonnenuntergang – so beschreibt Jam City aka Jack Latham die Vision hinter seinem ersten Longplayer „Classical Curves“. Die elf Tracks laden auf eine bizarre, futuristische Reise ein. Benzin- und Plastikgeruch steigt einem in die Nase, Handyklingeln wird genauso gesampelt wie Hundegebell, kreischende Motoren oder das vergnügte Liebespaar nebenan. Das Album ist voller Gegensätze: brachial und gewalttätig, aber doch elegant und romantisch. Ein Paradox: anziehend und abstoßend zugleich. Jam Citys digitale Zukunftsvision ist verdammt hässlich, trotzdem spitzt man die Ohren und hält weiter Ausschau auf das versmogte London in hundert Jahren. Oder so ähnlich.

Schon das treffende Titelbild macht klar, es mit etwas Substanziellerem als den üblichen 12“-Hits von Nightslugs zu tun zu haben. „Classical Curves“ ist mit Abstand das gewagteste und experimentellste Release auf dem gehypten Label von Bok Bok und L-Vis 1990. Denn es erschöpft sich nicht in der altbewährten Formel zwischen housigem Techno und Dubstep-Bangern für den vollen Dancefloor. Jam City reißt die typischen Clubmusik-Elemente gekonnt aus ihrem gewohnten Kontext und nimmt sie brutal auseinander. Aus nur wenigen Materialien, allem voran schräge Samples und Vocoder-Stimmfetzen, dafür aber mit Unmengen an Effekten, entstehen staubtrockene, aber doch irgendwie spannende Nummern. Ein moderner Minimalismus, aber ganz anders, als man ihn aus Berlin kennt. UK-Clubmusik nackt bis auf die Knochen und ordentlich durch die Mangel gedreht. Kein Wunder, dass der Londoner Latham seine Musik selbst als „Skulpturen“ bezeichnet.

Wer sich auf die elf Tracks einlässt, merkt spätestens bei der dritten Nummer „The Courts“, die gerade als Single erscheint, dass der merkwürdige Sound einfach funktioniert. Der ist gar nicht so aufsehenerregend, entfaltet aber eine gewaltige Wirkung, die sich auf der Oberfläche der Rhythmen und Töne nicht einmal ansatzweise erahnen lässt. Ein bisschen wie bei Actress, an dessen „Maze“ man spätestens bei „B.A.D.“ denkt. Subbässe dröhnen, mittige Kicks wabern durch metallische Flächen, Snares und Samples zwicken im Trommelfell. Ein beinah zynischer Kontrast zum düsteren Warehouse-Sound entsteht durch plötzlich durchbrechende Akkorde und zuckersüße Melodien. Es ist wenig überraschend, dass der ehemalige Grafikstudent das finstere Grime-Genre wie den Soul-Star Prince zu seinen Einflüssen zählt.

„Classical Curves“ ist ungemütlich, belohnt aber auch mit einer großen Bandbreite an Tracks. „The Courts“ und „Hyatt Park Nights“ sind gute Beispiele für die Dekonstruktion von Clubmusik. Housige Nummern wie „How We Relate To The Body“ könnten dagegen problemlos in einem DJ-Set untergebracht werden. Ganz träumerisch wird es plötzlich am Ende des Albums mit unverzerrten Vocals von Main Attraktionz. Jam City zeigt mit „Classical Curves“, dass er mehr drauf hat, als fette Clubhits wie „Magic Drops“. Ihm ist es gelungen, eine neue, moderne Form von Clubmusik zu kreieren, die auch und gerade jenseits vom Dancefloor Spaß macht. Das kann man mögen oder auch nicht, interessant ist Jam City’s urbaner Zukunftsklangkosmos allemal.

(Autor: Raoul Kranz)

Preview:

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Tracklist:

  1. Backseat Becomes A Zone While We Glide
  2. Her
  3. The Courts
  4. B.A.D.
  5. How We Relate To The Body
  6. Club Thanz
  7. Hyatt Park Nights Pt. 1
  8. Hyatt Park Nights Pt. 2
  9. Strawberries
  10. Love Is Real
  11. The Nite Life (Featuring – Main Attrakionz)