Schneiden, kleben, kombinieren

Tal R.„Beziehungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt!“ So lautet in verkürzter Form das ästhetische Programm des berühmten Dadaisten Kurt Schwitters, einem der Wegbereiter der Collagetechnik in der Kunst. Die Ausstellung „Manifesto Collage“ in der Berlinischen Galerie zeigt nun eine Beispielreihe von Collagewerken von den Anfängen der Dadaisten in den 20er Jahren bis zur Gegenwart. Schnell wird deutlich, dass Schneiden und Kleben in der Kunst mehr ist, als der bloße Spaß am wilden Zusammenkleben von Dingen, die nicht zusammengehören. Collagen stülpen Ordnungen um und üben so Gesellschaftskritik. In der Collage des zeitgenössischen, dänisch-israelischen Künstlers Tal R sind Farbe und Bilder zu einem einzigen visuellen Feuerwerk zusammengeschmolzen – und zum Sinnbild der visuellen Reizüberflutung geworden.

Tal Rs großes Klebebild “Adieu Interessant (purple)“ sticht beim Betreten der Ausstellung sofort ins Auge. Man wird angezogen von einem gigantischen Sog aus blau-lila-pink-gelben Farbstrahlen. An den Rändern lassen sich noch umrisshaft Bilder und Schnipsel von allem Möglichen erkennen: Ausschnitte von Werbemagazinen bis zu Pornoheftchen sind da zusammengeklebt. Bei dieser Collage geht es aber nicht mehr darum, einzelne Details zu identifizieren. Die Fotos und Bilder sind hier Teil einer gigantischen visuellen Landschaft, die Einzelteile haben ihre mediale Form verloren. Über drei Jahre, von 2005 bis 2008, haben Tal R und seine Mitarbeiter an diesem Flickenteppich herumgeklebt und -gemalt. Schicht um Schicht haben sie Farbe und Bilder in diesen überdimensionalen „Kolbojnik“ eingearbeitet. „Kolbojnik“ ist der jiddische Begriff für einen kollektiven Abfalleimer, im übertragenen Sinn steht er auch für die wahllose Wissensanhäufung. Für Tal R’s Schaffen ist er zentral. Völlig ohne System haben der Künstler und die Mitarbeiter Fotos ihrem Kontext entrissen und auf die Bildfläche aufgetragen. Gierig und gefräßig war das Bild mit der Zeit geworden, so der Künstler. Egal, wie viel sie diesem ‚Müllschlucker‘ zu fressen gegeben hätten, er hätte lediglich milde gelächelt und nach mehr verlangt. Schließlich haben sie erst aufgehört, als sie nicht mehr konnten: „Den Ausschlag für die Vollendung der Bilder“, so Tal R, „habe die völlige Erschöpfung aller Beteiligten gegeben.“

Ellen Gallagher. GreaselessIn der Serie „DeLuxe“ der US-Amerikanischen Künstlerin Ellen Gallagher steht die Gesellschaftskritik ganz konkret im Mittelpunkt: Gallagher hat Anzeigenblätter aus Zeitschriften und Magazinen, die in den Jahren 1930 bis 1970 für den afroamerikanischen Markt gedruckt wurden, zerschnitten und die Werbeanzeigen mit Knet oder Glitzerfolie verfremdet. Insgesamt sechzig Seiten hat sie beklebt und einzelne Bilder darauf zugeschnitten und umfunktioniert. In ihren Bildern kriechen weiblichen Frisurenmodels weiße Knetwürmer aus den Augen. Manche männliche Haargelmodels sind zu gespenstischen Aliens geworden. Effektvoll werden in diesen Einzelblättern die von der Medienindustrie propagierten Schönheitsvorstellungen entstellt. Gallagher arbeitet in „DeLuxe“ vor allem gegen die weißen Schönheitsideale an. Ihre Arbeiten beeindrucken durch die unterschwellige Listigkeit, die die unerwartete Kombination ermöglicht. Eine Technik, die sich bei der Collage wie bei kaum einer anderen Kunstform anbietet. In Gallaghers Arbeiten ist die ganze subversive Kraft des Schneiden und Klebens zu sehen.

„Manifesto Collage“ zeigt noch bis zum 17. September 2012 an internationalen Beispielen die ganze Bandbreite des wirkungsmächtigen Collageverfahrens. Neben den frühen Arbeiten der Dadaisten Kurt Schwitters, Hannah Höch und Raoul Hausmann sind Arbeiten der Amerikanerin Martha Rosler, des schweizerischen Installationskünstlers Thomas Hirschhorn und vielen weiteren zu sehen. Die Originale aus fast 100 Jahren „cut and paste“ in der Kunst zeigen vor allem auch eines: Den Spaß, den Bildgebrauch der Werbeindustrie ins Lächerliche zu ziehen.

(Fotos: © TAL R und © Ellen Gallagher)

Wir verlosen 2×2 Freikarten für die Ausstellung „Manifesto Collage“ in der Berlinischen Galerie!

Klicke hier, um mit “COLLAGE” als Kennwort an der Verlosung teilzunehmen. Einsendeschluss ist Samstag, der 7.07.2012 um 18 Uhr. Die Freikarten sind in der Zeit vom 11. bis zum 25.07.2012 gültig.

Manifesto Collage. Die About Change, Collection zu Gast in der Berlinischen Galerie“: bis zum 17. September 2012, Mi-Mo von 10-18h (dienstags geschlossen), Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin, U-Bahn: Moritzplatz, Hallesches Tor oder Kochstraße.