Die Bühne mit Videoscreen nimmt gut ein Drittel der Tanzfläche vom Berliner Berghain ein. Davor stehen Absperrgitter. Sieht putzig aus! Daneben warten drei Sanitäter, die wohl selbst am wenigsten wissen, was sie erwartet. Das Berghain füllt sich, Bier gibt’s nur aus Plastikbechern. Das Publikum ist ungewöhnlich gemischt: „Normal“ angezogene Büroangestellte stehen neben halbnackten Mädchen. Einige Leute tragen Masken mit deformierten Gesichtern, andere Kriegsbemalung. Und dann sind da noch die Gestalten in plüschigen Ganzkörper-Anzügen mit Kapuze! Man kann vermuten, dass die meisten Leute gar nicht wegen des Knall-Bumm-Rave-Rap von Die Antwoord gekommen sind (BLN.FM-Review zum aktuellen Album „Tension“). Vielmehr zieht die Mischung aus peinlich-aggressiven Prollgehabe, ein bis ins Detail ausgearbeitetes visuelles Konzept und die sozialkritische Haltung, die die Lizenz zum Assig-Sein geben.
Mit genau einer halben Stunde Verspätung geht das Licht aus. Auf der Leinwand erscheint eine hässliche Zwergen-Fratze, die Halle ist von buddhistischen Obertongesang erfüllt. Und dann: Nicht die bekannten Protagonisten MC Ninja oder Yolandi Vi$$er betreten die Bühne, stattdessen lassen sie ihrem meist im Hintergrund stehenden Kollegen DJ Hitek den Vortritt. Mit der aus den Videos bekannten fratzenartigen Maske und übergroßen Vorderzähnen legt er gleich mit dem Skandal-Rap aus „Fok Julle Naaiers“ los. Ein Knaller zum Start, schon nach wenigen Sekunden kocht die Menge. Und während DJ Hitek seine Tirade in Mike Tyson-Manier von sich gibt, schreiten MC Ninja mit seiner Vanilla Ice-Frisur und Yolandi mit ihrem wasserstoffblonden Vokuhila in knatschorangenen Overalls ins Rampenlicht.
Das energiegeladene Duo springt und rapt die kommende Stunde unermüdlich auf der Bühne. Beim stilgerecht mit Beatbox eingeleiteten “Fatty Boom Boom” springt und brüllt die Meute ekstatisch, bei “Orinoco Ninja Flow” johlt es die Zeile “Sail away” mit. Die zierliche Yolandi lässt die Hüften in engen Hotpants kreisen, zeigt uns ihren Mittelfinger, die erste Reihe darf ihr sogar einmal auf den Arsch hauen. Die wagemutigen Stagedives von MC Ninja sowie seine grimmigen Posen begeistern, nur seine Griffe in den Allerwertesten und die Zurschaustellung, was da so Tolles in seinen Boxershorts baumelt, wirkt für alle, die die Band und ihre Karriere schon länger mitverfolgen, zunehmend abgedroschen.
Gesten, Blicke, Posen und auch die „Fuck the System“-Rufe können nur teilweise hinwegtäuschen über den schalen Beigeschmack der Routine, die sich in die Performances eingeschlichen hat. Authentizität ist hier nicht das, was man geliefert bekommt. Am deutlichsten wird dies in dem als Zugabe gespielten “Enter the Ninja”, wo Yolandi beim Refrain die stets gleiche Choreografie runterspult. Vielleicht kickt das noch die im Publikum, die Die Antwoord zum ersten Mal erleben. Für sie wird die Grundidee der exzentrischen Band jedoch vor allem durch die Videoprojektionen spürbar, die zum großen Teil aus Ausschnitten der bekannten Musikvideos der Band bestanden. Zu sehen sind dunkle, schmutzige Ecken und Ratten, Graffitis, atzige Frisuren, spackige Bewegungen und vulgäre Posen von häßlichen Tänzern.
Was bleibt von einem Konzert von Die Antwoord? Es ist ein einstündiges Powerquickie inklusive Zugabe, welches eine verschwitzte, glückseelige Menge, die unentwegt nach Zugaben brüllt, zurücklässt. Ob mit Message oder ohne.
(Autoren: Ima Johnen und Matthias Hummelsiep; Foto: Auftritt 2012 in Boston, Flickr/OTP Photography)