Es duftet nach Holz und Kiefernnadeln, auf dem Boden liegen Blätter und abgebrochene Äste, es knackt und knarzt – es ist ein Wald und es ist doch keiner. Bei Michael Sailstorfers Arbeit „Forst“, die derzeit in der Berlinischen Galerie zu sehen ist, sind zwei Kiefern, zwei Weiden und eine Birke kopfüber an fünf rotierenden Motoren in dem 10 Meter hohen, gänzlich weißen Ausstellungsraum aufgehängt. Gleichmäßig und ununterbrochen drehen sich die abgesägten Bäume um ihre eigene Achse, die Arme hängen schwach und müde herunter. Zwei Bäume in der Mitte verhaken sich bei jeder Drehung; die verfangenen Äste spannen sich, bis sie fast brechen – und lösen sich schließlich wieder laut krachend.
Seit Eröffnung der Ausstellung am 26. April 2012 drehen sich die Bäume in der Berlinischen Galerie und verlieren nach und nach Laub, Nadeln und Äste, die sie wie große Besen auf dem Boden zu Kreisen zusammenfegen. Der Titel „Forst“ ist bei diesem Schauspiel Programm: Sailstorfer thematisiert in seinem Skulpturen-Experiment den Wald als ökonomische Ressource. Gewitzt beleuchtet er über die Umkehrung der Verhältnisse die Veränderungen, die eintreten, sobald Natur für die ökonomische Nutzung kultiviert wird. Die Drehmotoren in Sailstorfers „Forst“ bringen die Bäume langsam, aber beständig einem nutzlosen Ende entgegen, befreit von zweckgerichteter Verwertung. Dabei nehmen sie sich Zeit – und verabschieden sich mit einem feierlich-traurigen Tanz.
Als Kontrast zum poetisch-kreisförmigen Wogen der Bäume zeigt Sailstorfer eine zweite Arbeit im Raum: Für „Schwarzwald“ hat der Künstler in einem nicht näher bestimmten Waldstück in der Mitte Deutschlands einen 6x6x6 Meter großen Kubus mit schwarzer Farbe in die Natur gemalt. Per installierter Überwachungskamera wird diese Naturszene direkt in den Ausstellungsraum übertragen. Auf einem kleinen Monitor kann der Besucher Minute um Minute beobachten, wie die Natur die kultivierte, quadratische Form wieder zurückerobert.
Durch die mediale Übertragung wird die Wahrnehmungstäuschung – bezogen auf die Kräfteverhältnisse von Natur und Technik – geschickt thematisiert: Die langsamen Bewegungen der Natur können über den Bildschirm weder gehört noch gerochen und vor allem nicht auf den ersten Blick gesehen werden – und entwischen damit leicht der Wahrnehmung. Dass die Natur aber deshalb weniger kraftvoll die Welt bewegt, ist eine Täuschung, welcher der technikfixierte Mensch schnell erliegt. Michael Sailstorfer, Preisträger des Vattenfall Contemporary 2012, stellt nicht nur die Wahrnehmungen des Alltags auf die Probe, er hinterfragt in seinen Arbeiten vor allem im Naturbezug die Möglichkeiten und den Begriff der Skulptur. Seine tanzenden Bäume, die in der Berlinischen Galerie noch bis zum Herbst 2012 zu sehen sind, werden sich bis zur Finissage stark verändert haben: Nicht nur die Kiefern im Ausstellungsraum werden sämtliche Nadeln verloren haben, sondern auch das Laub im Guckfenster „Schwarzwald“ wird bunt gefärbt sein und die Sonne goldgelb in den Wald hinein und aus dem Monitor heraus scheinen.
(Bilder: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012)
Wir verlosen 2×2 Freikarten für die Ausstellung “Michael Sailstorfer. Forst – Vattenfall Contemporary 2012” in der Berlinischen Galerie!
Klicke hier, um mit „SAILSTORFER“ als Kennwort an der Verlosung teilzunehmen. Einsendeschluss ist Samstag, der 30.06.2012 um 18 Uhr!
“Michael Sailstorfer. Forst – Vattenfall Contemporary 2012”: bis zum 8. Oktober 2012, Mi-Mo von 10-18h (dienstags geschlossen), Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Alte Jakobstraße 124-128, 10969 Berlin, U-Bahn: Moritzplatz, Hallesches Tor oder Kochstraße.