Zum 19. Mal fand in diesem Juni das Sónar, das „Internationale Festival für fortschrittliche Musik und neue Medienkunst“ im sonnigen Barcelona statt. Strukturell hat sich gegenüber 2011 kaum etwas geändert. Das Tagesprogramm fand wieder in und um die beiden Kunstmuseen im Zentrum und die nächtlichen Veranstaltungen auf dem am Stadtrand gelegenen Messegelände statt. Das Rätselraten, wie man am besten nachts zu den Parties gelangt, ist ebenso geblieben wie das nervtötende Couponsystem beim Getränkekauf. Nervend war auch wieder der umständliche Einlass, bei dem man jeden Tag ein neues Bändchen holen musste. Zahl und Agressivität der Drogenverkäufer und Bierverkäufer sind weiter gestiegen und das Publikum ist immer noch bunt, international und nicht zu anstrengend hip. Die Ausstellungen – darunter eine mit interaktiven Klanginstallationen, die von den Bewegungen des Publikums beeinflusst wurden – boten erneut Abkühlung, Ruhe und Inspiration zwischen den Konzerten. Eine der wenigen Neuerungen: der SonarComplex, die experimentellste Bühne, befand sich nun außerhalb des Tagesgeländes in einer alten Kirche.
Donnerstag, der 14. Juni
Dort gab es am Donnerstag auch gleich einen derjenigen Auftritte zu sehen, die das Festival so besonders machen: der Japaner Masaki Batoh setzte einer Freiwilligen einen Haarreif und eine Taucherbrille mit Elektroden auf und verwandelte ihre Hirnströme in „leider wenig angenehme Musik“, wie er zuvor erklärte. Genau so war es, Masaki sampelte und begleitete seine „Brain Pulse Music“ zwar mit Instrumenten, doch viel außer Gedröhne und Geknarze passierte nicht. Da wäre die „Archimedes Show“ von Daedalus, die gleichzeitig stattfand, wohl doch interessanter gewesen. Weiter ging es mit einem sehr gut gelaunten Flying Lotus, der trotz eines Stromausfalls mitten im Set mit Live-Versionen seiner eigenen Tracks begeisterte. Nahtlos daran anschließen konnte Om Unit, der anderthalb fette Stunden zwischen Dubstep und Drum’n’Bass ablieferte. Da der Donnerstag nur Tagesprogramm bot, endete dieses bald darauf mit Totally Enormous Extinct Dinosaurs, der als nette House-Prinzessin von nebenan auftrat – geschminkt, im Pfauenkostüm und mit Synchrontänzerinnen. Gleichzeitig bewies er, dass er musikalisch mehr und Interessanteres zu bieten hat als bloß „das Lied aus der Handy-Werbung“.
Freitag, der 15. Juni
Leider etwas blass wirkten hingegen die redlich bemühten Austra, für deren dunklen Pop es am Freitag Nachmittag vielleicht einfach zu hell und zu warm war. Sie hätten vielleicht auf die Kellerbühne SonarHall zu Mouse on Mars gepasst. Um zu deren Gig in dem schnell überfüllten und stickigen Raum hereingelassen zu werden, musste man schon recht früh kommen. Dem erwartungsfrohen Publikum wurde ein infernalisch lautes Live-Set mit Drummer geboten, das leider nichts vom fragilen Genie der früheren Alben transportierte. Deutlich entspannter ging es da im Freien beim sympathischen Jungspund Jacques Greene zu, der zusammen mit Ango einen stimmigen Space House-Soundtrack für den Sonnenuntergang lieferte. Und weil für John Talabot die SonarHall wegen Überfüllung gesperrt war, wurde es dann schon Zeit für das erste Nachtprogramm.
http://soundcloud.com/brendanj_77/jacques-greene-another-girl
Dieses eröffnete Lana del Rey, die mit großer Geste, wenn auch anfangs noch etwas unsicher, und Streicherquartett auftrat und Küsse an die erste Reihe verteilte. Auf die neue Diva, bei der noch infrage steht, ob sie ein Phänomen begründet oder eine Eintagsfliege bleibt, folgte ein lässiger und leicht nerdiger James Blake, der ein schönes und abwechslungsreiches Set voll mächtiger Basswellen über dem Publikum entrollte. Nun begann allerdings eine Durststrecke, denn zuerst kamen die bestimmt netten, aber völlig deplatzierten Friendly Fires, dann ein einfallsloses Techno-Set von Richie Hawtin, der damit die Messehalle 2 rammelvoll machte. Und die ist mit über 30.000 qm immerhin etwa halb so groß wie die unbeliebte Arena an der Warschauer Brücke in Berlin! Von diesem Energy Drink-Regen ging es in die Traufe der Annie Mac. Die britische BBC1-DJ legte in der Nebenhalle schlimmen Kommerz-House á la David Guetta auf. Als beim Live-Auftritt von Simian Mobile Disco anschließend kurz Hoffnung aufblitzte, kam allerdings Fatboy Slim und stampfte sie mit lärmendem Schranz-Sound wieder ein. Da half dann nur noch Squarepusher. Mit seinem LED-Helm wurde er zum Teil seiner psychedelischen Geometrie-Visuals und beendete den Freitag anspruchsvoll mit einem wahnwitzigen, polyrhythmischen High Speed-Klangmonster.
Samstag, der 16. Juni
Am Samstag arbeitete das Tagesprogramm schon allmählich auf das große Finale hin. Zuvor jedoch kamen salyu x salyu mit einer sehr japanischen und daher etwas zu quietschigen Elektro-Jazz-Pop-Mischung in die SonarHall. Unterdessen legten draußen Zora Jones, Sinjin Hawke und später Star Slinger etwas progressivere Tanzmusik auf. Ein letzter Abstecher in den SonarComplex ließ an einem ziemlich verspulten Auftritt von Maria Minerva teilhaben. Sie wirkte durchgehend so, als würde sie bei einer Party im Zustand höchster Trunkenheit irgendwelchen Techno auflegen und dabei entstehenden gesangliche Improvisationen anderen Partygästen zumuten wollen. Immerhin profitierte die ganze Darbietung von der Atmosphäre der Kirchenbühne.
Das Nachtprogramm startete schließlich mit New Order, die trotz Synthies und netten Visuals sehr konventionell auftraten. Mit dem Klassiker-Bonus konnten sie dennoch die Halle 2 gut füllen. Eine Halle daneben spielten noch kurz Metronomy zuende, dann kamen die Höhepunkte Schlag auf Schlag. Sehr entspannt und sympathisch zog Maya Jane Coles das Publikum in House-Tiefen und gab dann den Staffelstab ab an Azari & III, die erwartungsgemäß exaltiert die Bühne rockten. Da man sich zwischen den Nachtbühnen nicht dreiteilen kann, zirkulierten ständige große Ströme im Takt der Musik. Auch Frau Coles litt unter den Programm auf der anderen Bühne, wo Die Antwoord aus Südafrika ordentlich einheizten. Der dortigen Getränkeverkauf an den Bars verzögerte sich aufgrund tanzender Barkeeper! Das Spektakel wirkte wie ein Scooter-Konzert – nur in cool. Ein blonder Wahnsinniger schrie die Massen an und brachte sie dazu, bei Enyas „Orinoco Flow“ mitzusingen, eine aufgedrehte Frau mit gepitchter Stimme sprang dazu durch die Gegend. Bühnendesign und Visuals gaben den letzten Schliff. Das visuelle Drumherum trugen auch zur Wirkung von deadmau5 bei, der die knallvolle und stark aufgeheizte Haupthalle ebenfalls zum Raven brachte. Ja, gemeint ist Rave, denn filigran oder anspruchsvoll war am Auftritt der leuchtenden Mausfratze nichts. Zum Glück! Denn wer anschließend in die verbale Straßenschlacht um Busse und Taxis entgegentorkelte, sah rechtschaffen erschöpft und glücklich aus.