Der Streit um die gerechte Bezahlung für Nutzung und Verbreitung von Musik, Filmen und anderen Kulturgütern ist mittlerweile geradezu unversöhnlich geworden. Schon lange geht es nicht mehr nur um ein bisschen Filesharing oder um Gewinneinbrüche bei großen Labels. Inzwischen sind auch kleine Independent-Labels betroffen. Doch während die GEMA um ihre gesellschaftliche Akzeptanz kämpft, müssen sich Konsumenten mit gierigen Abmahnanwälten auseinander setzen.
Wie also kann die Herstellung von Musik, Filmen und anderen kulturellen Gütern bezahlt werden, ohne dass die Nutzer kontrolliert und gegängelt werden? Ein populärer Vorschlag ist die sogenannte Kulturflatrate, ein pauschales Vergütungssystem für das Herunterladen, Hören und Tauschen von Musik und Filmen. Dazu, wie sich eine solche Flatrate auswirken würde, gibt es bisher nur wenige wissenschaftliche Untersuchungen.
In seiner Diplomarbeit hat sich nun Sebastian Bauer von der Wirtschaftsuniversität Wien mit den wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten und Risiken der Kulturflatrate beschäftigt. Dabei kam er zu dem Schluss, dass es verwunderlich ist, warum nicht mit ernsthaftem politischen und gesellschaftlichen Interesse über eine nicht-kommerzielle Variante der Kulturflatrate diskutiert wird. BLN.FM bat den Autor zum Interview.
Was genau ist denn unter einer Kulturflatrate zu verstehen?
Die begriffliche Unschärfe von Schlagworten wie „Kulturflatrate“ macht die Diskussion leider sehr unexakt. Generell bevorzuge ich den Ausdruck „Content-Flatrate“.
Würde man zum Beispiel mit der Flatrate sämtliche Content-Nutzung über das Internet legalisieren, wäre das ein völlig anderes System, als wenn nur der nicht-kommerzielle Tausch über das Internet legalisiert würde. Bei der zweiten Variante müsste das kommerzielle Anbieten von Musik, Film, etc. weiterhin wie bisher lizenziert werden. Im zweiten Fall könnte man dann also urheberrechtlich geschütztes Material tauschen, mit wem man will, solange man kein Geld damit verdient. Mit dieser Variante habe ich mich beschäftigt.
Zentral ist dabei die Frage, wie das Geld, was durch die Flatrate eingenommen wird, verteilt werden soll. Es gibt Stimmen, die sich dafür aussprechen, dass das eingenommene Geld so verteilt wird, wie bereits existierende Urheberrechtsabgaben für Musikkassetten, CD-Rohlinge und USB-Sticks. Andere sagen, eine weitaus genauere und nutzungsgerechtere Verteilung wäre möglich, wenn man den Datenverkehr misst. Wieder andere sagen, dass man die Zahlenden der Flatrate, also die Internet-User selbst, bestimmen lassen sollte, wer wie viel von dem Geld erhalten soll. Je nachdem, welchen dieser drei Ansätze man wählen würde, würde eine komplett andere Verteilung dabei herauskommen.
Ist eine “Content-Flatrate” denn in der Realität umsetzbar?
Wenn der politische Wille da ist, dann ist die Flatrate technisch umsetzbar. Konkret wäre hier die Frage zu stellen, wie Daten erhoben werden können, nach denen das eingenommene Geld in Form von Tantiemen an die jeweiligen Rechteinhaber ausgeschüttet werden kann. Es gibt technische Möglichkeiten, heruntergeladene Musikdateien mit Hilfe von Metadaten und Audio-Fingerprints zu identifizieren. Außerdem gibt es verschiedene Schlüsselstellen, an denen anonymisierte Messungen, wie oft ein Musikfile heruntergeladen wird, möglich sind. Eine davon ist der Zugangspunkt zum Internet beim Anbieter der Verbindung, eine andere das P2P-Netzwerk und eine dritte ist der Computer oder das Mobiltelefon des Nutzers selbst.
Daneben gibt es das sogenannte „passive Monitoring“. Dabei klinkt sich eine Zählsoftware quasi wie ein Nutzer in das P2P-Netzwerk ein und misst, welche Files in diesem Netzwerk gerade populär sind. Marktforschungsunternehmen machen das bereits seit geraumer Zeit. Als weitere Möglichkeit können eine bestimmte Anzahl von Internetnutzern sich eine Monitoring-Software freiwillig auf ihren Computer installieren, die dann ihr Download – und Abspielverhalten misst. Alle Daten werden anonym eingesammelt, weil es für die Verteilung des Geldes nicht wichtig ist, wer etwas runterlädt oder abspielt. Ich denke, es wäre am sinnvollsten, unterschiedliche Messmethoden zu kombinieren, um eine statistische Unschärfe und Missbrauchsgefahr zu minimieren.
Wo siehst Du die Vorteile einer Flatrate?
Die Vorteile wären Entkriminalisierung und Rechtssicherheit der Internetnutzer sowie eine offenere Netzkultur. Es wäre dann klar, dass Musik, Filme und Bilder unbedenklich heruntergeladen und auch anderen angeboten werden können, solange kein Geld damit eingenommen wird. Die Regelung der Privatkopie, die das Kopieren von CDs privat erlaubt, würde so auf das Internet ausgeweitet werden. Urheberrechtsklagen und Abmahnungen von Nutzenden sowie zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen eigens eingerichtete Behörden wären dann nicht mehr nötig. Auch andere datenschutztechnisch problematische Konstrukte wie ACTA, SOPA oder CISPA würden sich mehr oder weniger erübrigen. Das entlastet die Gerichte. Zudem bekommen die Produzierenden von Inhalten Geld auch für die massenhafte Nutzung, die derzeit nicht abgerechnet werden.
Und was sind die Nachteile?
Erstens könnten kommerzielle Angebote für Musik und Filme wie iTunes teilweise „kannibalisiert“ werden. Zweitens könnte das Flatrate-System missbraucht werden: gewiefte Rechteinhaber werden versuchen, die Statistik auszutricksen, um mehr aus dem Flatrate-Topf zu erhalten. Allerdings sind die Missbrauchsgefahren wesentlich geringer als angenommen. Eine der größeren Herausforderungen ist wohl eher die Grenzziehung zwischen kommerziellem und nicht-kommerziellem Content-Tausch, weil ja nur der nicht-kommerzielle Tausch legalisiert werden sollte.
Würde eine Content-Flatrate auch das Problem lösen, dass wir auf YouTube viele Videos nicht schauen können, weil sie gesperrt sind?
Die Version der Content-Flatrate, die nur das nicht-kommerzielle Filesharing legalisieren würde, würde die YouTube-Frage nicht unbedingt lösen. YouTube ist ein kommerzielles Angebot, das Werbung schaltet, und müsste daher weiterhin lizenziert werden. Es wäre somit weiterhin Verhandlungssache zwischen YouTube und den Rechteinhabern, genauso wie bei iTunes.
Bei reinen P2P-Tauschnetzwerken, die ohne Gebühr und Werbung auskommen, wäre das anders. Solche nicht-kommerziellen Kopiertätigkeiten würde die Content-Flatrate ja umfassen. In jedem Fall würde der Konsument Inhalte tauschen dürfen, unabhängig davon, ob der Service, den er dabei benutzt, legal oder nicht legal wäre. Und das ist auch der springende Punkt, da es ja darum geht, für die Konsumenten Rechtssicherheit zu schaffen. Unternehmen, die mit fremden Inhalten Geld machen, ohne dafür Lizenzzahlungen zu leisten, sollten dagegen durch das Flatrate-System nicht legalisiert werden.
In jedem Fall ist es verwunderlich, dass dieses Konzept nur sehr am Rande und selten ernsthaft diskutiert wird.