Der Titel „Good Rats“ passt zu Berlin fast schon so gut wie „arm aber sexy“ – eklig, aber liebenswert. Auf diese Art und Weise hat der Fotograf und Filmemacher Niall O’Brien vier junge Punks erlebt und über mehrere Jahre hindurch fotografiert. Schwierig war es, aber auch einmalig. Circa 35 Bilder der gemeinsamen Erlebnisse hängen bis zum 28. Juli im Upon Paper Space in Mitte. BLN.FM traf sich am Tag der Eröffnung mit Niall, um Genaueres über sein Projekt zu erfahren. Der 32-Jährige Ire beginnt in London 2006 das Projekt, auf das „Good Rats“ hinausläuft. Damals ist er noch Assistent der Legendefotografin Samantha Taylor-Wood. Für ein Filmprojekt namens „Superheroes“ sucht er eine Gruppe von Jugendlichen, die etwas gemeinsam haben, die etwas besonders verbindet. Nie hätte er vermutet, bei Punks zu landen. „Ich dachte so etwas gäbe es nicht mehr“ erklärt er. In Camden Town trifft er auf die vier 16-Jährigen Jungs und beginnt mit ihnen abzuhängen. Der Titel der jetzigen Ausstellung bezieht sich auf die Art, wie der Fotograf die Jugendlichen erlebt: laut und aggressiv, aber auch sehr ehrlich und herzlich.
Niall folgt den Kids nach Berlin, wo sie zwei Wochen unter einer Brücke am Alex übernachten. Ihn fasziniert, dass die Gruppe sich bei ihrer Ankunft sofort mit anderen Punks anfreundet. Er war als Jugendlicher Skater und hörte Hiphop, als Erwachsener erkennt er nun dieselben Reflexe: Das Signalisieren von Zugehörigkeit durch Kleidung und das schnelle Kontakteknüpfen. Genau dieses Phänomen von Sippen hatte er gesucht. Berlin ist für die jungen Punks nicht nur ein Urlaubsziel, die Stadt bietet den Jungs auch mehr Freiheit als London. Und irgendwie passen die Kids mit ihren Iros und zerfetzten Jeans perfekt an den Alex – das Sterni adoptieren sie auch gleich. Niall wehrt sich gegen die Annahme, dass er eine Ausstellung über Punk-Rock vorstellt. Das Thema, von dem er sich als „besessen“ beschreibt, ist Jugend, die Idee, Langeweile zu besiegen, zu einer Gruppe zu gehören und eine Gemeinsamkeit zu haben. Zu schnell vergisst das Publikum seines Erachtens nach den soziologischen Aspekt und fokussiert sich auf die Trends. So wirklich überrascht diese Sorge nicht, denn Niall ist sehr präsent im Modebereich. Zuletzt war er für sein Projekt „Porn Hurts Everyone“ einen Monat auf Roadtrip in den USA und schoss dort die neue Alexander McQueen-Werbekampagne.
Wie kam es also, dass er als Modefotograf fünf Jahre lang vier Punkkindern folgte? Anfangs war von Seiten der Jungs weder das Vertrauen noch der Wille da, Niall zu akzeptieren. Sollte er doch Fotos schießen, wenn er wollte, aber Posen gabs keine. Von Vorteil war das insoweit, als dass Niall sehr natürliche Bilder gelangen. Trotzdem blieb es ein ewiger Kampf. Eines Nacht wurden die Jungs in London beim Einbruch in ein verlassenes Asyl erwischt, Niall versteckte sie und stellte sich der Polizei. Das Eis war gebrochen. Auf die Frage, ob er nie einen inneren Konflikt zwischen Beobachter und Freund empfand, erklärte er, er wäre den Rest der Zeit nicht dazwischengekommen und hätte alles seinen Lauf nehmen lassen. So kommt es auch auf den Bildern rüber.
Insgesamt wirken die Fotos natürlich, ungestellt und ziemlich verträumt. Die Motive sind zwar nicht immer die heitersten, denn blutigen Streit gab es auch regelmäßig, aber das Licht ist sanft und strahlt Unbeschwertheit aus. Heute gehen sie alle getrennte Wege, auch Niall hat mit „Good Rats“ abgeschlossen. Umso schöner ist es, dass nach London und New York auch Berlin die Fotografien der jungen Rebellen empfängt.
Niall O’Brien „Good Rats-Berlin“, Fotokunstausstellung, bis zum 28. Juli, Dienstag bis Samstag, von 12 bis 18 Uhr, Eintritt frei, Upon-Paper-Space, Max-Beer-Str. 25, Berlin-Mitte, U-Bhf Rosa-Luxemburg-Platz u. Weinmeister Straße.
Update: verlängert bis zum 18. August 2012
http://soundcloud.com/bln-fm-im-fokus/im-fokus-good-rats