Dort, wo sich einst unter dem Ausstellungs-Titel „Soma“ Rentiere tummelten, präsentiert der Hamburger Bahnhof noch bis zum 12. August Anthony McCalls elegante Lichtprojektionen. Nachdem Anthony McCall (geb. 1946) mal eben eine über zwanzigjährige Schaffenspause eingelegt hatte, gilt er seit einigen Jahren als eine der Wiederentdeckungen der internationalen Kunstszene. Nun findet seine erste Einzelausstellung in Deutschland, „Five Minutes of Pure Sculpture“, in der mystischen Atmosphäre einer tiefschwarzen, in Nebel gehüllten Black Box statt. Die Namensgebung bezieht sich auf Henri Chomettes Film „Cinq Minutes de Cinema Pur“ (1926), in dem es wie bei McCall um das Spiel von Licht und Formen geht. Die Kunst des gebürtigen Londoners lässt sich allerdings nicht allein dem Kino-Genre zuordnen, denn er macht aus Filmprojektionen von Zeichnungen dreidimensionale Skulpturen. Wie kann man sich das vorstellen?
Anders als beim konventionellen Film steht man als Betrachter zunächst mit dem Rücken zur „Leinwand“ und blickt hin zum Projektor in einen tunnelartigen Lichtkegel, der durch Nebeldunst sichtbar gemacht wird. Das, was in der gewöhnlichen Kino-Situation nur technisch und instrumentell ist – der Lichtstrahl des Projektors – wird durch McCalls Inszenierungen ästhetisch, faszinierend und irgendwie unfassbar. Eher auf den zweiten Blick nimmt man den eigentlich Film wahr: weiße geometrische Formen, die sich langsam aber ständig verändern und die durch digitale Projektoren an Wand und Boden der Halle geworfen werden. Besonders bei den horizontalen Projektionen wird der Bezug zum Kino deutlich: Kino reduziert, abstrakt und mit Perspektivenwechsel. Mit McCalls Idee von einem Film, der allein im Moment der Projektion vor einem Publikum existieren könne, ohne jeglichen Bezug zu einem anderen Ort, rückt die Interaktion mit dem Zuschauer in den Vordergrund. McCalls Arbeiten lassen sich am besten durch das Verhältnis und die Interaktion der Dinge beschreiben: Sei es zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Betrachter und Werk oder zwischen den Kunst- Genres Kino, Skulptur und Zeichnung. Oder einfach zwischen zwei geometrischen Formen, die sich ständig in sich und im Verhältnis zueinander verändern, wie in einer der vertikalen Installation „Between you and I“ (2006).
Die Installationen regen zu verschiedenen Betrachtungsweisen an, die tatsächlich den ganzen Körper in Anspruch nehmen. Einige Besucher legen sich auf den Boden wie in ein Zelt aus Licht, andere verfolgen stehend und gehend die geometrischen Lichtformen. Oder man setzt sich eine Weile an den Rand der Halle und beobachtet, wie unterschiedlich die Lichtskulpturen entdeckt werden können. Nur zwei der insgesamt sieben Installationen werden mit einem leichten Soundtrack hinterlegt, der hauptsächlich aus Wasserplätschern- und –rauschen besteht. Die Ruhe und Stille in nebelgefüllter Dunkelheit wirken entspannend, machen die visuelle Erfahrung intensiver. Doch auch musikalische Assoziationen wie ein Spaziergang durch ein „The Dark Side of the Moon“-ähnliches CD-Cover liegen nahe.
Pink Floyd passt zumindest auch in die Entstehungsphase der „Solid Light Films“, an denen Anthony McCall Anfang der 70er Jahre zu arbeiten begann. Damals ließ die verrauchte und staubige Atmosphäre in Londoner Künstler-Ateliers zu, was in einem sauberen Museum Jahrzehnte später nur mit digitaler Technik und Nebelmaschinen möglich ist: Licht wird „solid“, zu einer gegenständlich wirkenden Skulptur.
„Five Minutes of Pure Sculpture“ beeindruckt nicht trotz, sondern gerade wegen seines schlichten und minimalistischen Charakters und stellt dabei so manche überladene Video-Kunst in den Schatten. Manchmal ist weniger doch eben mehr.
(Autorin: Ronja Kniep)
Wir verlosen 2×2 Freikarten für die Ausstellung „Five Minutes of Pure Sculpture“ im Hamburger Bahnhof!
Klicke hier, um mit „MCSCULPTURE“ als Kennwort an der Verlosung teilzunehmen. Einsendeschluss ist Freitag der 15.06.2012 um 18 Uhr!
Anthony McCalls „Five Minutes of Pure Sculpture“: bis zum 12. August, Di-Fr von 10-18h, samstags 11-20h und sonntags von 11-18h, (Mo geschlossen), Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Invalidenstr. 50-51, S-/U-Bahn: Hauptbahnhof.