Schmier’s an die Kirchenwand

Alain de Botton, schweizerischer Populärphilosoph, will in London einen „Tempel des Atheismus“ bauen, in dem statt Gott „Ideen und Kultur“ angebetet werden. Wie so etwas aussehen könnte, zeigt derzeit der polnische Bildhauer und Videokünstler Paweł Althamer: Beim „Draftmen’s Congress“ im Rahmen der 7. Biennale wird die St. Elisabeth-Kirche in Mitte zu einer sakral anmutenden Kreativwerkstatt.

Die weißen Wände im aus dem Jahr 1835 stammenden Bau laden förmlich dazu ein, “beschmiert” zu werden. Zu diesem Zweck liegen Farben, Stifte, Kohle und Papier auf einem Tisch in der Mitte des Raumes bereit. Die Besucher selbst sind die Künstler. Aber auch professionelle Kunstschaffende leben sich an den Wänden aus. Darum geht es: In gesellschaftlich vertretbarem Rahmen ein wenig zu „randalieren“, gesetzlich erlaubt Wände zu beschmieren. Die Wandbemalungen in Verbindung mit der Kirchenatmosphäre schaffen dabei eine durchaus tempelähnliche Stimmung. Überall sind kleine Sprüche und Wünsche zu entdecken, Kunstwerke von Kindern oder Liebesbeschwörungen. Unweigerlich bekommt man den Eindruck, die transportierte Idee sei die eines Gemeinschaftsgefühls. Dass die Werke vielleicht zwei Tage, vielleicht auch nur zwei Stunden später übermalt werden, ist Teil des Konzepts. Auf diese Weise entsteht ein stets in Bewegung bleibendes Raumbild.

„Seien Sie höflich oder politisch inkorrekt, enttäuscht oder wütend, und werfen Sie sich in ein Gefecht der Bilder!“, heißt es in dem Begleittext zur Ausstellung. Doch was fehlt, ist der Bezug der Werke aufeinander. Der Aufruf zum Politischen erscheint daher beliebig. Übermalen, wo das Bild des Vorgängers nicht gefällt – von politischem Dialog keine Spur. Stattdessen der Wunsch, „zeitlebens den Längsten zu haben“, die Forderung „Free Mickey Mouse now!“ oder ein „Hipster“-Schriftzug, wobei das „s“ in Ruhnenschrift im Stil der Nationalsozialisten geschrieben ist.

Den Besucher zu Produktivität aufzufordern ist in dieser Form leider keine neue Idee. Was die Einbeziehung des Rezipienten angeht, gibt es bereits wesentlich originellere Formen: So zum Beispiel Josephy Beuys‚ Aktion „7000 Eichen“ zur Documenta 7 in Kassel, bei der der Künstler mit Hilfe von Freiwilligen 7000 Bäume pflanzte. Althamers Projekt wird am Ende vielleicht weniger langlebig sein: Eine Idee des Künstlers war es, das Werk zu zersägen und zu verschenken.

„Draftmen’s Congress“- initiiert von Paweł Althamer, noch bis zum 1. Juli 2012 täglich von 12-20 Uhr in der St. Elisabeth-Kirche in der Invalidenstraße 3, Berlin-Mitte, Straßenbahn: Pappelplatz, Eintritt umsonst