Tütensuppe XXL – Schwimmen im Müll

Jan Henning Kuck schwimmt gern im Müll. / Foto: Nadine-Sophie EckertEine Insel im Nirgendwo, endlose Strände und überall… Müll! Zahnbürsten, Einkaufstüten, Joghurtbecher – wir leben in einer Welt aus Plastik, und das wandert über kurz oder lang ins Meer. Im Nordpazifik treibt bereits ein Müllstrudel, der die Größe Mitteleuropas misst und sechsmal mehr Kunststoff als Plankton enthält. Damit nicht genug: Die kleinen Kunststoffteilchen bleiben nicht etwa im Meer und verschwinden einfach, sondern landen über die Nahrungskette wieder auf unserem Tisch.

Ob das wirklich sein muss, fragte sich auch der Berliner Künstler Jan Kuck und hat zusammen mit der Kuratorin Claudia Lamas Cornejo gleich eine ganze Ausstellung zum Thema konzipiert. Das interaktive Kunstprojekt „Packet-Soup“, zu deutsch „Tütensuppe“, ist noch bis zum 02. Juni in der Galerie SAVVY Contemporary zu sehen und konfrontiert den Besucher auf multimediale Weise mit unserem täglichen Plastikkonsum. Sieben weitere internationale Künstler, darunter der für seinen Kinofilm „Plastic Planet“ ausgezeichnete Filmregisseur Werner Boote, zeigen ihre Arbeiten zum Thema Umweltverschmutzung durch Kunststoff.

Gleich im Eingangsbereich der Galerie kann man in einem Swimmingpool mit über 6.000 Plastiktüten sprichwörtlich in die eigene Müll-Suppe eintauchen. Untermalt mit Walgesängen und Freibad-Geräuschekulisse vom Band wird das Bad im Zivilisationsmüll zu einer zwiespältigen Erfahrung. Denn Jan Kuck nähert sich mit seiner Installation der Müllproblematik zwar spielerisch – schnell wird jedoch klar, dass der Tauchgang im Tüten-Pool nur ein Sinnbild für die Masse an Plastik ist, die uns täglich umgibt. Genau auf dieses Moment zielt „Packet-Soup“. Die Kunstwerke sollen nicht vorgefertigte Meinungen präsentieren, erklärt Jan Kuck, sondern eher sammeln, archivieren und ausstellen – das Urteil, ob das Material Plastik schön, hässlich, wertvoll oder nutzlos ist, liegt beim Ausstellungsbesucher selbst.

Dokumentarfilmerin Susanne Richter. / Foto: Nadine-Sophie Eckert

Für Pamela Longobardi ist Plastik gleichzeitig ein Kunst-Stoff, der die Fantasie anregt. Ihr „Driftweb for Berlin“ ist eine Installation aus alten Fischernetzen und Plastikteilen, die von der Zimmerdecke hängen. Wie ein überdimensionaler Traumfänger spannt sich hier auf, was das Meer wieder freigegeben hat. Stephen McPherson betrachtet das Ganze mit einem forensischen Blick. Täglich sammelt der englische Künstler an einem kleinen Strand in seiner Heimat Plastikmüll und dokumentiert jedes Fundstück mit einem Foto. Die riesige Fotowand mit Aufnahmen von Spielzeugfiguren, Kanistern und Bechern in unterschiedlichen Farben und Formen ist ein ästhetisches und gleichzeitig bedrückendes Archiv unserer Wegwerfgesellschaft. Bisher unveröffentlichte Forschungsergebnisse des Filmregisseurs Werner Boote und der Dokumentarfilmerin Susanne Richter vertiefen das Thema. „Packet-Soup“ will provozieren und gleichzeitig Raum für Ideen schaffen. Wie genau das funktionieren soll, beantwortet Jan Kuck im Interview mit BLN.FM.

Wie bist du auf die Idee gekommen, einen Pool mit 6.000 Tüten zu befüllen und dann auszustellen?

Kurz nachdem im Sommer 2012 die Deepwater Horizon explodiert ist, habe ich mich intensiv mit dem Thema Plastik und Erdöl auseinandergesetzt. Dann hatte ich die Idee, dass man mit Plastiktüten, die ja aus Erdöl hergestellt werden, dieses Thema sehr gut darstellen kann. Ich hatte Lust, diese Thematik mit einem künstlerischen Blick zu verarbeiten. Gleichzeitig hat mich dieser größtenteils unnötige Verbrauch von Plastikverpackungen aufgeregt. Während meiner Recherche habe ich dann gesehen, dass es riesige Plastikstrudel in den Weltmeeren gibt. Die haben unfassbar große Ausmaße. Das hat mich schockiert und gleichzeitig fasziniert und genauso auch die Masse an Plastik, mit der wir uns selber umgeben und in der wir im wörtlichen Sinne schwimmen.

„Packet-Soup“ sagt nicht, dass Plastik per se schlecht ist. Welche Erfahrung soll der Besucher machen, wenn er zum Beispiel in deinen Pool steigt?

Das kann und will ich nicht vorschreiben. Es geht darum, dass sich die Besucherinnen und Besucher überraschen lassen und einfach durch eine Konfrontation mit dem Thema ganz andere Gedanken und Assoziationen entwickeln können als die sie vorher damit hatten. Und ich finde es immer spannend, wenn Kunst dazu anregt, dass man in sie eintauchen kann, dass man aufgesogen wird, dass sie etwas Spielerisches hat und nicht nur völlig – nichts gegen abstrakte Kunst – für sich steht und sehr schwer zugänglich ist.

Was kann Kunst hier beim Umgang mit der Plastikproblematik leisten?

Kunst kann befreit von dem Zugang des moralisch erhobenen Zeigefingers Aufmerksamkeit erwecken. Sie kann, einfach weil sie in einem unerwarteten Kontext stattfindet, diese Thematik bearbeiten. Man kennt das: Es wird immer gesagt, Plastik ist schlecht, man soll das und das vermeiden und das hat immer so diesen Beigeschmack von Spaß verderben, Ausstieg aus der Spaßgesellschaft, von Verbot, von Verzicht im negativen Sinne. Verzicht kann ja auch was sehr Positives sein, indem man einfach bewusster lebt, das heißt auch bewusst verzichtet und dadurch das, was man hat, viel bewusster erlebt.

Und wie macht die Ausstellung das?

Die Besucher sollen sich dazu anregen lassen, sich eigene Gedanken zu machen. Sie sind ganz frei darin, das Ganze schön oder hässlich, abstoßend oder anziehend zu finden. Oder einfach nur ästhetisch. Diese Farbvielfalt der Tüten im Pool zum Beispiel: Auf die habe ich wenig bis gar keinen Einfluss. Da ist der Zufall ein Teil des Ganzen. Die Farben im Pool verändern sich. So wird aus einem statischen, ein dynamisches, dreidimensionales Bild.

Was passiert nach der Ausstellung mit den Tüten?

Es wurden uns von der Stiftung Naturschutz Berlin Interessenten vermittelt, die die Tüten gerne weiterverwenden würden. Auch die Künstlerin Hilla Steinert, die ein Kleid aus Plastik extra für die Ausstellung gemacht hat, wird danach Plastiktüten bekommen und daraus weitere Sachen machen. Der Rest wird dem Recycling zugeführt.

Haben diese Ausstellung und der Umgang mit der Thematik dein eigenes Bewusstsein verändert?

Ja natürlich. Ich achte jetzt noch mehr darauf, dass ich Plastikmüll trenne und darauf, dass ich zum Beispiel auf Einwegplastikflaschen verzichte. Man kann den Gebrauch von Plastik sicherlich nicht komplett vermeiden. Aber auf jeden Fall denke ich jetzt viel bewusster nach. Wenn ich zum Beispiel im Supermarkt stehe und gerne dieses Joghurt essen würde, frage ich mich: Das ist jetzt nur ein kleiner Spaß zwischendurch. Ist das wirklich nötig?

PACKET-SOUP – an interactive installation, noch bis zum 02. Juni 2012 in der Galerie SAVVY Conetmporary, Richardstr. 43/44, Berlin-Neukölln, U-Bahn: Karl-Marx-Str. Geöffnet täglich außer montags von 16 – 20 Uhr. Eintritt frei.

(Fotos: Nadine Sophie Bengelsdorf)