Das Fremde war uns Menschen schon immer ein Faszinosum und Schrecken zugleich. Stets sind wir auf der Suche nach Möglichkeiten, aus unserer vertrauten Wahrnehmungswelt auszuschlüpfen und in unbekannte Bewusstseinsebenen zu spähen. Aus genau diesem Grund faszinieren uns Gestalten wie Julia Holter so sehr. Denn sie gewähren uns diesen exklusiven Blick auf eine Welt, zu der wir keinen Zugang haben und versetzen uns in eine Ekstase, die uns willenlos macht.
Nicht einmal sechs Monate ist es her, dass Holter ihr hochgelobtes Debüt „Tragedy“ veröffentlichte – ein düsteres und stellenweise völlig unzugängliches Ambientwerk, das an die Tragödie „Der bekränzte Hippolytos“ des griechischen Dichters Euripides angelehnt ist und irgendwo im Elysion zwischen Tim Hecker, Christina Vantzou und Grouper verortet werden kann. In dieser Welt lebt Holter allerdings nicht mehr. Sie hat eine andere betreten und die Tore weit geöffnet. So ist der Nachfolger „Ekstasis“ fast ein Pop-Album geworden. Jedoch so avantgardistisch, dass das wohl kaum einem auffallen wird. Außer vielleicht John Maus und Ariel Pink, die musikalisch zwar massiger klingen, aber ähnlich ticken und ebenso wie Holter am California Institute of the Arts in Los Angeles Musik studiert haben.
Das Referenzspektrum auf „Ekstasis“ ist breit, womit das Album konzeptuell nicht so fest gebunden ist wie „Tragedy“. Der Opener „Marienbad“ ist eine Hommage an Alain Resnais‚ Nouvelle-Vague-Klassiker Letztes Jahr in Marienbad und ein perfekt arrangiertes und sich sukzessive verdichtendes Baroque-Pop-Stück. Schon hier sticht der gehauchte und zuweilen etwas robotoide Gesang Holters hervor, der sehr an Kate Bush erinnert. „Our Sorrows“ macht in dieser Manier weiter und entfaltet gegen Ende die psychedelische Seite Holters. Als kleine Brücke zwischen „Tragedy“ und „Ekstasis“ dient die zweiteilige Neuinterpretation von „Goddess Eyes“ – grundsolider Dream-Pop, der allerdings wenig Neues bietet. Ganz im Gegenteil zu „Four Garden“ oder „This Is Ekstasis“, die gegen Ende noch ein völlig neues Element präsentieren: bewusstseinserweiternden Free Jazz, der sich großzügig am Canterbury Sound bedient.
Ja, wir alle suchen das Fremde auf und Julia Holter schafft es wie kaum eine andere, uns in solche Gefilde zu führen – schwebend in einer hauchdünnen Luftblase zwischen schwelgerischem Minimalismus und gewaltiger Komplexität. Das Faszinierende an dem Ganzen ist schlussendlich die Tatsache, dass man sich inmitten all dieser Skurrilitäten so überraschend heimisch fühlt, dass die Frage aufkommt, welche Welt denn nun tatsächlich die fremde ist.
Preview:
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Tracklist:
- Marienbad
- Our Sorrows
- In The Same Room
- Boy In The Moon
- Für Felix
- Goddess Eyes II
- Moni Mon Amie
- Four Gardens
- Goddess Eyes I
- This Is Ekstasis