Stellt euch vor, es ist Party, und alle müssen leise sein. Für die Insel Berlin ist diese Vorstellung seit Anfang 2012 Realität. Denn wenn es nach dem Umweltamt des Bezirks Treptow-Köpenick geht, herrscht auf dem Gelände inmitten der Spree ab sofort Ruhe. Die neue vom Amt festgelegte Maximal-Lautstärke macht Veranstaltungen im Freien nahezu unmöglich.
Das Gelände der Insel Berlin liegt mitten auf der künstlich aufgeschütteten „Insel der Jugend“. Im April 2010 wechselte die Trägerschaft hierfür an den Verein Kulturalarm. Bis letztes Jahr traf sich die bunte Mischung Berlins an der Spree zu Lesungen, Theater, Workshops, Konzerten und Partys. Damit ist Schluss, denn das Umweltamt Berlin Treptow-Köpenick änderte plötzlich, was die letzten 25 Jahre kein Problem war. Open Air-Veranstaltungen dürfen künftig nur noch mit einer Lautstärkengrenze von 55 Dezibel durchgeführt werden. Mit einer entsprechenden Ausnahmezulassung sind tagsüber 70 Dezibel erlaubt. Zum Vergleich: Ein normales Gespräch misst etwa 50-60 Dezibel. Die Lautstärke einer Amsel beträgt aus einem Meter Entfernung noch etwa 70 Dezibel. Die Betreiber der Insel finden die Amtsforderungen absurd und haben deshalb eine Infotafel mit einer durchgestrichenen Amsel am Eingang der Insel aufgestellt: Auch die Natur muss hier leise sein.
Das Umweltamt sagt, der Grund für die neuen Immissionsrichtwerte seien wiederholte Beschwerden einerseits von Anwohnern auf Alt-Stralau und andererseits des Mädchenwohnheims, das direkt an den Insel-Garten grenzt. Obwohl die Einrichtung des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks schon seit den 1970er Jahren besteht, sollen deren Bewohner nun, nach mehr als 25 Jahren, plötzlich vor dem „Kulturlärm“ geschützt werden. Dabei hat das Mädchenwohnheim gar kein Problem mit dem Kulturbetrieb auf dem Nachbargrundstück. Bis auf eine einzige Beschwerde, ausgelöst durch eine spezielle Bühnenkonstruktion auf der „Green Sphere 2011“, konnten alle Events im Außenbereich der Insel ohne Einwände der Heimleiterin stattfinden.
Diese eine Beschwerde nahm das Umweltamt allerdings zum Anlass, einen Geräusch-Messpunkt direkt ans Mädchenwohnheim zu verlegen. Der Betreiber der Insel, André Szatkowski, wundert sich über das Vorgehen des Amtes: „Früher lag der Messpunkt in der Tunnelstraße auf Alt-Stralau. Jetzt nach 25 Jahren fällt dem Bezirksamt auf, dass die ganze Zeit über falsch gemessen wurde.“ Das Mädchenwohnheim sei nur der Aufhänger, um endlich für Ruhe auf der Insel zu sorgen, vermutet Szatkowski. Die Anwohner der schmucken Townhouses auf der gegenüberliegenden Halbinsel Stralau seien die eigentlichen Beschwerdeführer.
Ruhe für Townhouse-Bewohner?
Auf der Insel wird schon gefeiert, seit es Bewohner auf Alt-Stralau gibt. Vor der Wende traten hier Größen der DDR-Musikszene auf, nach dem Mauerfall lockten ein Café und Freiluftkino. Nachdem der letzte Pächter 2009 die Insel verließ, wurde ein neuer Betreiber gesucht. Der Kulturalarm überzeugte das Jugendamt Berlin Treptow-Köpenick mit einem Konzept, das auch Open Air-Veranstaltungen und Konzerte vorsieht. Doch die neuen Auflagen des Umweltamtes machen Szatkowsky ratlos: „Wie soll man bei einer Begrenzung von 70 Dezibel eine Veranstaltung im Freien planen?“
Das Problem mit den genervten Anwohnern von Alt-Stralau ist nicht neu. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Lärmbeschwerden, nicht erst seit der Kulturalarm Träger der Insel ist. Seltsam scheint jedoch, warum sich besonders an diesem Berliner Kulturgut seit Jahrzehnten hochgezogen wird, wo 150 Meter weiter der Zenner, ein Restaurant mit angeschlossenem Biergarten, den gesamten Sommer über durch Party machen darf. „Eigentlich ist es auch überhaupt nicht wahrzunehmen, aus welcher Richtung die Musik kommt“, meint Szatkowsky. Maximal 18 „laute“ Veranstaltungen im Jahr werden im Umkreis der Halbinsel Stralau genehmigt. Obwohl hier Zenner, Sisyphos und Salon zur wilden Renate liegen und an der Rummelsburger Bucht darüber hinaus ab und an legale und illegale Open Airs stattfinden, wird für Lärmbelästigung in den meisten Fällen die Insel verantwortlich gemacht. Szatkowsky: „Es ist schon vorgekommen, dass die Polizei wegen einer Beschwerde bei uns vor der Tür stand, obwohl bei uns gar keine Veranstaltung lief.“ Und wenn Parties laufen, dann hat der Kulturverein vorgesorgt. Mit einem speziellen Gerät zur Phasenauslöschung sollen die Bässe nicht bis auf die andere Uferseite gelangen.
Die neue Lärmregelung bedeuten wohl das Aus für die Insel als Veranstaltungsort und auch den Trägerverein. Denn mit dem Wegfall des Kerngeschäfts fehlen dem Kulturalarm 40.000 Euro jährlich, rechnet Szatkowsky vor. Wo die nun herkommen sollen, ist unklar. Doch Ideen gibt es schon: Das Bezirksamt selbst schlägt vor, das Mädchenwohnheim als Mitveranstalter ins Boot zu holen. Zumindest für die Geburtstagsparty der Insel zur Fête de la Musique am 21.6. wäre das eine Option. Längerfristig bedeutet es jedoch, dass das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk auch die kommerziellen Risiken der Veranstaltung mittragen müsste.
Szatkowsky hofft stattdessen darauf, das Bezirksamt, einen politischen Vertreter und das Wohnheim an einen Runden Tisch zu bekommen. Mit einer Online-Petition versucht Kulturalarm dafür Unterstützung in der Öffentlichkeit zu gewinnen. Bis der Runde Tisch eine Lösung bringt, bleibt die Insel jedoch auf stumm geschaltet.
(Foto oben: Nadine Sophie Bengelsdorf; Foto unten: Kulturalarm e.V.)