Ich Mensch, Du Ding – aber wo ist die Seele?

Animusmus-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Foto: Nadine Eckert

Ein Tisch ist ein Tisch ist ein Tisch, und der Teller auf dem Tisch ist ebenso nur ein Teller, ein Gegenstand, unbelebt – ein Teller eben. Was passiert jedoch, wenn in den Essensresten auf dem Teller plötzlich ein Paar Augen, eine Nase und ein Mund, gar ein menschliches Gesicht zu erkennen ist? Der Schweizer Künstler Erik Steinbrecher stellt mit seinen Gesichtern aus Pommes, Milchschaum und Schinkenstreifen („Trouble mit der Anima“, 2012) genau diese Analogie her und stört gleichzeitig unsere Wahrnehmungsmodalitäten, indem er scheinbare Gewissheiten auflöst. So wie Steinbechers Fratzen stellt die gesamte Ausstellung „Animismus„, die noch bis zum 06.05. im Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu sehen ist, unsere kategorialen Unterscheidungen von „belebt“ und „unbelebt“, Wesen und Ding, Subjekt und Objekt auf den Prüfstand. Wie bestimmen wir, was eine Seele hat? Ist ein Baum ein Ding oder ein Wesen? Diese Fragen bilden die Arbeitshypothese der multimedialen Schau mit 30 internationalen Künstlern.

Den Titel der Ausstellung leiht sich Kurator Anselm Franke aus der Geschichte. Animismus bezeichnet den „Glauben an geistige Wesen“ und diente im Europa des 19. Jahrhunderts in erster Linie als Abgrenzungsbegriff. Animistische Kulturen, die Tiere und Dinge subjektiviert und ihnen damit eine Seele zugesprochen haben, liefen dem wissenschaftlichen Fortschrittsglauben des kolonialistischen Europas entgegen. Die klare Trennung zwischen Leben und Nicht-Leben, zwischen Natur und Kultur wird zum wesentlichen Merkmal der Weltsicht moderner Gesellschaften und der Animismus zum Gegenbild. Genau diese Grenzziehungen will die Ausstellung im HKW hinterfragen.

Animusmus-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt. Foto: Nadine EckertDas passiert mitunter auf irritierende Weise. „Resurrection“ (1969), zu Deutsch „Auferstehung“, nennt Daniel Spoerri sein Video und beginnt mit einem ganz und gar nicht heiligen Bild: Ein Haufen Fäkalien im Closeup, dann läuft der Film rückwärts. Ein Mensch zerschneidet ein Steak, brät es in der Pfanne, kauft es beim Schlachter, der zuvor die Stücke zurechtschneidet. Am Ende steht die Filmkuh auf der Wiese, Zoom auf einen Kuhfladen, Ende. Auf einer Leinwand daneben lässt Walt Disney in seinem Comicfilm „The Skeleton Dance“ (1929) Tote aus Gräbern steigen und miteinander tanzen und musizieren. Die Skelette werden im doppelten Sinne lebendig: als Untote zur Geisterstunde und durch die Animation – die Aneinanderreihung bewegter Bilder. Die amerikanische Künstlerin Daria Martin nähert sich mit ihrem Film „Soft Materials“ (2004) dem Thema „Mensch vs. Maschine“ ganz gegenständlich, indem sie zwei Tänzer in Interaktion mit Roboterelementen eine Choreografie entwickeln lässt

Die größte Aufmerksamkeit bekommt jedoch die Videoinstallation von Angela Melitopoulos und Maurizio Lazzarato. „Assemblages“ (2010) greift zusammen mit den beiden Archivinstallationen „Déconnage“(2011) und „Two Maps“ (2012) die Idee des französischen Philosophen und Psychiaters Félix Guattari auf, die Krisis der modernen Kultur sei nur durch eine Rückkehr zum Animismus zu überwinden. Archivaufnahmen mit Guattari, Szenen aus Dokumentarfilmen, Interviews und Filmausschnitte von Fernand Deligny, Renaud Victor und François Pain setzen die Konstruktion des Ichs in Beziehung zur Außenwelt. Das Thema der Ausstellung – was ist Subjekt und was Objekt –  wird in diesen Aufnahmen vor dem Hintergrund der Psychiatriegeschichte und des politischen Widerstandes verhandelt. Wenn hier Bilder von Demonstranten gegen US-Militärbasen auf der Okinawa-Halbinsel über die Leinwand laufen, wird nicht nur die Zerstörung der Geschichte und Kultur der Urbevölkerung kritisiert. Die Installation weist eine deutliche politische Ausrichtung auf viele der ausgestellten Arbeiten.

Anselm Franke hat mit „Animismus“ eine spannende Ausstellung kuratiert, die als experimentelle Auseinandersetzung mit ästhetischen Symptomen von Subjektivierung und Objektivierung zu verstehen ist. Zwar beginnt der Rundgang im Foyer des Hauses mit einer etwas unglücklichen Anordnung von einzelnen Infotafeln, die sich nicht so recht in die sonst so multimedial angelegte Künstlerschau einfügen wollen – dennoch gelingt der Ausstellung etwas ganz Wesentliches. Sie fordert ihre Besucher auf, auszutesten, was passiert, wenn man traditionelle Denk- und Wahrnehmungsformen verschiebt. Nur Mut!

„Animismus“ noch bis zum 06.05 im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin, S-Bahnhof: Hauptbahnhof oder U-Bahnhof:  Bundestag. Geöffnet Mittwoch bis Montag 11–19 Uhr, Eintritt 5 €/ermäßigt 3 €, Montag + U16 Eintritt frei.

(Fotos: Nadine Sophie Bengelsdorf)