Radikale, energiegeladene, nie da gewesene Kompositionen haben den 1912 in L. A. geborenen John Cage zum einem der bedeutendsten Musiker der Moderne gemacht. Wie die Ausstellung „John Cage und …“ in der Akademie der Künste zeigt, hat Cage jedoch nicht nur komponiert, sondern in nahezu allen Bereichen der Kunst gearbeitet und geformt. Von Beginn an hat er gemalt, gezeichnet, geschrieben, philosophiert, Ausstellungen kuratiert und Tanz und Performance mit einbezogen. Selbst das leidenschaftliche Pilzesammeln war Bestandteil seiner schöpferischen Arbeit. Wenn man die vielen kleinen Kapitel der Ausstellung abläuft, die sich den Facetten von Cages Schaffen widmen, wird schnell deutlich, dass der amerikanische Künstler dabei vor allem von den europäischen Avantgardisten inspiriert war.
Die künstlerische Laufbahn Cages begann in den 1930er Jahren zunächst beim Malen. Was und wie genau er jedoch gemalt hat, weiß man heute nicht mehr, denn die Bilder aus dieser frühen Phase gelten als verschollen. Auch hat Cage zunächst nicht Musik, sondern zuallererst Literatur studiert. Erst als er Mitte der 1930er Jahre Unterricht bei Arnold Schönberg erhält, fasst er den Entschluss, sich ganz der Musik zu widmen. Eine Art Schlüsselrolle nimmt in dieser Zeit das Ölgemälde „Meditation“ des Expressionisten Alexej von Jawlensky ein: Cage hatte dieses Bild 1935 erworben, obwohl der Kaufpreis von 25 Dollar eigentlich nicht in seinem Budget lag. Mühsam hat der 22-Jährige die Dollars einzeln abgestottert. Das Bild, auf dem ein magisches Gesicht zu sehen ist und das auch in der Ausstellung vertreten ist, muss jedoch etwas in ihm ausgelöst haben. Völlig begeistert schrieb Cage an Jawlensky: „Nun ist es in mir. Ich schreibe Musik. Sie sind mein Lehrer.“
Inspiration und Information holt sich Cage in dieser Anfangszeit vor allem über die Zeitschrift „Transition“, wie die Ausstellung zeigt. In der „Transition“ las er Texte von Kurt Schwitters, Hugo Ball, Hans Arp, von den Arbeiten von László Moholy-Nagy, Karl Blossfeldt, Marcel Duchamp, Paul Klee und vielen anderen. Dada, Bauhaus, Blauer Reiter und Surrealismus – John Cage begeisterte sich für fast alles, was aus der Richtung kam, die heute „klassische Moderne“ heißt. Vom künstlerischen Spiel mit dem Zufall und der Arbeit mit Alltagsgegenständen, die vor allem Marcel Duchamp kunstfähig gemacht hat, war Cage fasziniert und angeregt. Schließlich hat er selbst mit Zufallsexperimenten angefangen und Straßengeräusche in seine Kompositionen eingebaut oder mit dem berühmten „präparierten Klavier“ die Möglichkeiten der Klangerweiterung ausgelotet.
Kein Zufall ist es, dass in Cages Bildern Motive vertreten sind, die auch andere Künstler verwendet haben. Die wechselseitige Inspiration zeigt sich vor allem an den vielen Faden-Bildern, die in der Ausstellung an einer Wand eng neben- und übereinander hängen. Auf gedrängten Raum sind hier Fäden von Paul Klee, der Bauhaus-Künstlerin Anni Albers und vielen weiteren Künstlern zu sehen – und eben auch „Strings“ von John Cage. Die Schnüre sind entweder lose oder geknotet, mal dick, mal dünn, mal bunt, mal schwarzweiß, wirken mal leicht, mal schwer – sie erzählen alle eine andere Geschichte und sind zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten entstanden. Beim Anblick dieser Bilderwand tritt jedoch unmittelbar und unverhüllt vor Augen, wie eng das Netz der Kunstwerke (und die Welt der Künstler) gestrickt und miteinander verwoben ist.
„Die höchste Absicht ist, überhaupt keine Absicht zu haben. Das stellt einen in Einklang mit der Natur und der Art ihres Vorgehens.“ So lautet eines der vielen Zitate Cages, die in der Ausstellung an der Wand zu lesen sind. In der Arbeit „Wild Edible Drawing, No. 9“ aus dem Jahr 1990 hat Cage das Absichtslose in ganz spezieller Form ins Bild gefasst: In dieser „wilden essbaren Grafik“, die an ein japanisches Papier erinnert, sind Maulbeeren, Bananen, Brennnesseln, Hibiskusblätter, Nelken und andere Pflanzen in handgeschöpftes Papier eingeschlossen. Anordnung, Form und Farbe haben sich darin verselbstständigen können – das Bild ist ganz Natur. Direkt neben der „essbaren Grafik“ hängt ein Pilz-Bild von Morris Graves, einem amerikanischen Maler und langjährigen, sehr engen Freund von Cage. Graves hatte ihm dieses Bild geschenkt, wohl wissend, dass Pilze für Cage mehr als nur Feinkost waren. Denn Cage sagte einmal: „Vielleicht ist es eine merkwürdige Idee, aber ein Pilz wächst nur so kurze Zeit, und wenn man zufällig auf einen stößt, der ganz frisch ist, ist es so, wie wenn man auf einen Klang stößt, der ja auch nur kurze Zeit lebt.“
Kompakt und konzentriert führt die Ausstellung „John Cage und …“ in den Kosmos des gewichtigen Bahnbrechers ein. Der Besucher kann die Zufallsexperimente aber nicht nur betrachten, sondern auch selbst welche machen: Im „Klangraum“ stehen 300 Schallplatten und fünf Plattenspieler zur Verfügung. Hier kann man selbst Platten auswählen, auf die Teller legen und so eigene Klangwelten kreieren. Dieser Klangraum ist allerdings nur an Kalendertagen mit gerader Zahl geöffnet. Wer es also nicht dem Zufall überlassen will, ob er mit Tönen experimentieren kann, sollte vor einem Ausstellungsbesuch das Datum checken.
„John Cage und …“, bis zum 17. Juni in der Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Berlin-Tiergarten. Öffnungszeiten Di-So 11-20 Uhr, Eintritt 5/3 € bis 18 Jahre. Am 1. Sonntag im Monat Eintritt frei!