Sendai – Geotope

In der Theorie der Psychoanalyse erzeugt das „Unheimliche“ seine beunruhigende Kraft, indem das Vertraute des Alltags für einen kleinen Moment außer Kraft gesetzt wird. „Unheimlich“ ist auch eine der ersten Assoziationen, die sich beim Hören der bemerkenswerten Musik aufdrängt, welche die beiden langjährigen Freunde Yves De Mey und Peter van Hoesen nun unter dem Projektnamen Sendai auf Albumlänge veröffentlicht haben. Dies hat wenig mit der kaum möglichen Genre-Zuordnung, aber viel mit den Wirkungen dieser Musik auf das limbische System zu tun: Sie vermag in ihrer Mischung aus melancholischer Kälte, maschineller Präzision und herausfordernder Rätselhaftigkeit nicht selten die sprichwörtlichen kalten Schauder zu erzeugen, die sich des Rückens des Hörers bemächtigen.

Yves De Mey und Peter van Hoesen durchlebten einen wichtigen Teil ihrer musikalischen Sozialisation in der experimentellen Elektronik-Szene im Brüssel der 90er Jahre, in der sie sich auch vor etlichen Jahren kennenlernten. „Geotope“ verstehen die beiden jedoch nicht als Hommage an vergangene Zeiten, sondern als Ausdruck einer immer aktuell gebliebenen Liebe zu abstrakten und experimentellen Sounds.

Mit „Terminal Silver Box“ beginnt die Platte mit mäandernden und ungreifbaren Soundflächen, die gelegentlich mit verzerrtem Rauschen und repetitiven, tieftonigen Störgeräuschen unterlegt werden. Dies erzeugt Stimmungen, die eher an Ambient für eine spiritistische Geister-Séance oder den Score zu einem „Haunted house“-Horrorfilm erinnern als an die häufig kopflastigen „Clicks and Cuts“, mit denen experimentelle elektronische Musik sonst häufig assoziiert wird. „Following The Constant“ bleibt auf diesem Pfad, unterlegt die unheilvolle Atmosphäre aber mit einem kalten und kristallklaren Groove.

Hier lässt sich die Stärke des Sendai-Soundentwurfs bereits exemplarisch studieren: Dieser gibt den repetitiven Loops einen enormen atmosphärischen Spielraum und lässt diese in ihrer atmosphärischen Verdichtung so lange für sich arbeiten, bis man das Gefühl hat, sich auf einem einsamen nächtlichen Spaziergang durch urbanes Brachland wiederzufinden. Nach sechs Minuten setzt die statische Bassdrum plötzlich aus und akzentuiert damit die flirrenden Soundscapes noch stärker. Einen ähnlichen Effekt hält „Emptiness Of Attention“ bereit, wenn dessen minutenlanges monotones Lo-Fi Rhythmusgerüst am Ende in fast sakral anmutenden Synthesizerklängen mündet. „EP-2010-4“ ist ein wundervoll hysterischer und doch unterkühlter Track, der mit seiner drängenden, immer wieder abgehackten 4/4 Bassdrum und den stechenden HiHats auch hervorragend auf der Tanzfläche eines Basement-Clubs im Keller einer Industrieruine funktionieren würde.

Der starke Trumpf von „Geotope“ besteht darin, dass der Reichtum an experimentellen Sounds niemals zur nerdigen Selbstreferenz wird, sondern immer im Dienst eines ästhetischen Programms steht. Man bekommt den Eindruck, dass Peter van Hoesen und Yves De Mey auf dieser Platte ohne Worte darüber philosophieren, was es bedeuten würde, wenn Maschinen durch das eigenmächtige Erzeugen von Stimmungen mit uns kommunizieren könnten. Wer sich für avantgardistische Klänge und düster-atmosphärischen Purismus begeistern kann, der sollte sehr genau zuhören, was uns die Maschinen von Sendai zu sagen haben.

Preview:

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Tracklist:

  1. Terminal Silver Box
  2. Following The Constant
  3. A Refusal To Celebrate A Statistical Probability
  4. Win Trepsit/Brief Delay
  5. Further Vexations
  6. EP2010-4
  7. Geotope
  8. Emptiness of Attention