„The Last Hippie“ ist eine Fallstudie des amerikanischen Neurologen Oliver Sacks. Sie beschreibt die außergewöhnliche Geschichte eines jungen Mannes, der aufgrund eines Gehirntumors sein Gedächtnis verlor. Einzig und allein die Musik seiner Jugend, die großen Songs der Hippie-Zeit, holt ihn aus seiner Lethargie: Nur durch sie kann er sich an wichtige Momente seiner Jugend erinnern und seine Umgebung realisieren.
Der Stoff wurde bereits 1990 in „Zeit des Erwachens“ („Awakening“) mit Robert de Niro und Robin Williams verfilmt. Nun hat der Produzent Jim Kohlberg das Thema für sein Regiedebüt „The Music Never Stopped“ ausgewählt. Der Film erzählt vor dem Hintergrund der Anfänge der Musiktherapie ein eher tapsiges Vater-Sohn-Drama als eine Hommage an die Musik der 60er und 70er Jahre.
Henry (J. K. Simmons) und Helen Sawyer (Cara Seymour) erhalten einen Anruf aus dem Krankenhaus: Man hat ihren Sohn Gabriel (Lou Taylor Pucci) gefunden. Dieser stürmte vor zwanzig Jahren nach einem Streit mit seinem Vater aus dem Haus und kehrte nie wieder zurück. Er leidet an einem Gehirntumor, der glücklicherweise entfernt werden kann, jedoch nimmt Gabriels Kurzzeitgedächtnis erheblichen Schaden: Er kann keinerlei neue Eindrücke behalten, vergisst nach einigen Sekunden schon, wer vor ihm steht.
Durch einen Zufall bemerkt man in Gabriels Pflegeeinrichtung die besondere Wirkung, die Musik auf ihn auswirkt. Um nichts unversucht zu lassen, nimmt Henry Kontakt zur Pionierin der Musiktherapie, Dr. Dianne Daily (Julia Ormond) auf. Doch nun ist es an Vater und Sohn, ihre gemeinsame Vergangenheit aufzuarbeiten. Henry kann den Kontakt zu Gabriel nur aufrecht erhalten, indem er sich mit dessen Musik, – Bands wie den Beatles, Cream oder The Grateful Dead – auseinander setzt.
Der Film lebt, genau wie sein Protagonist, von der Musik. Tatsächlich dürfte der Soundtrack beim Retro-liebenden Publikum von heute ausgezeichnet ankommen. Der Film selbst ist jedoch dramaturgisch unausgereift. Die Charaktere wirken eindimensional. Sie sind weder vielseitig noch entwickeln sie sich (bis auf den Vater) kaum. Dieser kann sich nicht von seiner Erinnerung an Gabriel als Kind, das die gleiche Musik wie er liebte und ein guter Schüler war, trennen und muss schmerzhaft lernen, seinen Sohn zu akzeptieren.
Gabriel ist das naive, hilflose Unschuldslamm, das mit seiner tapsigen Art die Herzen seiner Umgebung gewinnt und damit tatsächlich für den einen oder anderen Lacher sorgt. Dass er seinem Vater dessen rigoroses und uneinsichtiges Verhalten, welches ihn schließlich von zu Hause vertrieb, anstandslos verzeiht, wirkt jedoch übertrieben. Nebenhandlungen wie die Beziehung zur Küchenfrau Celia in der Pflegeeinrichtung haben für den weiteren Verlauf der Handlung keinerlei Bedeutung. Man hätte sie einfach streichen können. Und so gerne man als Zuschauer mit dem lieben Gabe mitfühlt, gehen einem dessen orgasmusartige Gesichtsspastiken beim Genuss seiner Musik spätestens nach dem fünften Mal gehörig auf die Nerven.
Die Momente, in denen die Charaktere wirklich greifbar und menschlich wirken, sind spärlich gesäht. Etwa wenn die Mutter ihre seit zwanzig Jahren brennenden Vorwürfe gegen ihren Mann, der den geliebten Sohn aus dem Hause trieb, herausschreit. Oder wenn der Vater schluchzend bekennt, dass er die Musik seines Sohnes gleichzeitig liebt und hasst.
„The Music Never Stopped“ erzählt im Grunde eine bewegende Gesschichte als amerikanischen Happy-End-Film, dessen Schauspieler überzeugend sind. Die Erzählweise und die Charakterisierung der Protagonisten sind jedoch zum Teil schlicht schleppend, bisweilen oberflächlich und berühren den Zuschauer nicht wirklich – daran kann auch der wirklich tolle Soundtrack wenig ändern.
The Music Never Stopped, Drama, USA 2011, 104 Minuten, ab dem 29.03. im Kino