Of Montreal – Paralytic Stalks

of Montreal-Paralytic Stalks-CoverSchreibt man über Musik, so bietet es sich in der Regel an, andere Bands oder wenigstens Genrebezeichnungen als Referenzen heranzuziehen. So kann sich ein Leser noch vor dem ersten Hören einen Eindruck verschaffen, was er sich von einem Album versprechen darf und was wohl eher nicht. Doch wo die Ausnahme die Regel bestätigt, wäre eine Referenzliste zu „Paralytic Stalks“, dem elften Studioalbum von Of Montreal, zwar ellenlang, aber in etwa so widersprüchlich und damit sinnbefreit wie der Albumtitel selbst. Stattdessen auf Adjektive wie abwechslungsreich, vielfältig oder divers auszuweichen, bliebe eine reine Untertreibung. Auch Kategorien wie Chaos oder Inkohärenz anzuführen würde dem Album nicht gerecht werden. Doch was macht es so schwer, dieses Album zu beschreiben?

Wo viele Bands froh sind, ein Album um eine zündende Idee herum schreiben zu können, steht hinter „Paralytic Stalks“ ein ganzes Feuerwerk davon. Keine Minute auf dem Album gleicht einer anderen. Das klingt zwar immer aufregend und oft überraschend, aber auch bisweilen, als sei die Kreativität endgültig mit der Band durchgegangen. „Paralytic Stalks“ klingt nach Of Montreal, wie man sie vom Vorgängeralbum „False Priest“ von 2010 kennt, und stellt gleichzeitig die Dekonstruktion alles Gefälligen dar. Es ist nicht nur erstaunlich, wie viele Klangschichten hier dicht an dicht übereinander gelegt sind – frei nach dem Motto „the more, the merrier“ – sondern auch, wie viel Heterogenes in Folge sich in einem Song unterbringen lässt. Am Ende ist man sich tatsächlich nicht sicher, ob man nun nur neun oder nicht doch 27 verschiedene Songs durchgehört hat.

Doch solche Kritik ist nichts als Jammern auf hohem Niveau. Was „Paralytic Stalks“ seinem Hörer an Ausdauer abverlangt, gibt es ihm an musikalisch Reizvollem bei weitem zurück. So überrascht es nicht, dass Of Montreal-Mastermind Kevin Barnes postmoderne E-Musik von Charles Ives oder György Ligeti als besondere Einflüsse auf „Paralytic Stalks“ zitiert. Diese hört man insbesondere in „Exorcismic Breeding Knife“. Auch John Cage hätte wahrscheinlich gerade diesen Track gemocht: Hier scheppern und klirren, rumpeln und flirren die Klänge einem präparierten Klavier gleich und winden sich die Songteile ineinander, als würde man den Regler eines Radiogerätes mitten im Lied einfach auf eine andere Frequenz weiterdrehen. Eine Technik, wie sie Cage in „Imaginary Landscape No.4“  von 1951 für zwölf Radiogeräte selbst komponierte.

Das dreizehnminütige Finale von „Paralytic Stalks“ kommt nach diesem Track vergleichsweise brav daher. Mit seinen funkigen Licks und elektronischen Beats könnte „Authentic Pyrrhic Remission“ ebenso auf dem letzten Sufjan Stevens-Album zu finden sein. Doch dann wird auch hier der Regler weitergedreht: Es folgen fünf Minuten komponiertes weißes Rauschen, die einen schließlich in einer Pianoreprise wie aus dem Kaffeehaus entlassen. „Our illumination is complete.“ singt Kevin Barnes dazu die letzten versöhnlichen Worte auf „Paralytic Stalks“.

Preview:

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Tracklist:

  1. Gelid Ascent
  2. Spiteful Intervention
  3. Dour Percentage
  4. We Will Commit Wolf Murder
  5. Malefic Dowery
  6. Ye, Renew The Plaintiff
  7. Wintered Debts
  8. Exorcismic Breeding Knife
  9. Authentic Pyrrhic Remission