Ein U-Bahn-Netz schafft direkte Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Bezirken einer Stadt. Die Züge verkehren unsichtbar unter den Gebäuden und Straßen, die das Leben auf der Oberfläche begrenzen und strukturieren. Auf den Nahverkehr einer Stadt ist jeder gleichermaßen angewiesen: Banker und Dealer, Nachtschwärmer und Nachtschichtler, Kinder und Rentner, Obdachlose und Künstler. Sie alle sind gezwungen, sich den öffentlichen Raum der Züge für die Dauer einer Fahrt zu teilen. Die U-Bahn-Linien sind die Pulsadern dicht unter der asphaltierten Haut der Stadt.
Der amerikanische Fotograf Bruce Davidson ist Anfang der 1980er-Jahre durch die Pulsadern von New York gereist und hat Menschen, Züge und Bahnhöfe fotografiert. Aus seiner Serie „Subway“ stammen die 47 Fotos, die noch bis zum 20. Mai in der großen Sporthalle des C/O Berlin ausgestellt sind. Das U-Bahn-Netz von New York City umfasst 468 Stationen auf 21 Linien, die eine Ausdehnung von 337 km erreichen. Auf den stark frequentierten Strecken gibt es Expressgleise, auf denen die Züge durch die unwichtigen Stationen einfach durchrasen. Manchmal kommen sie auch an die Oberfläche, da wo die Bebauung nicht so dicht ist, dass nicht noch ein paar Schienen dazwischen gepasst hätten. Oder da, wo die Stadtplaner die Ästhetik eines Viertels ohnehin schon aufgegeben hatten, wo eine durch das Häusermeer gefräste Hochbahnlinie kaum noch Schaden anrichten kann. Zum Beispiel in Brooklyn.
Viele der dort aufgenommenen Bilder zeigen dunkelhäutige, in der Schwüle der Tunnelluft schwitzende Passagiere, die eine Momentaufnahme des unterirdischen Schmelztiegels darstellen. Nichts sei gestellt und alle abgebildeten Personen seien vorher um Erlaubnis gefragt worden, wird Davidson zitiert. Manche wirken abwesend, sie scheinen sich unsichtbar machen zu wollen. Manche wirken unzurechnungsfähig, vielleicht, weil sie gerade von ihrem Dealer kommen. Diejenigen aber, die diese Zwischenwelt für sich beanspruchen, posieren mit selbstbewusster Gelassenheit, zeigen ihre Muskeln, ihre Haut oder die Narben in ihrem Gesicht. Sei es, weil sie keinen anderen Ort haben oder weil sie die Züge als Teil ihres Alltags begriffen haben: Davidson hat aus den Menschenmassen eine ganz spezifische Teilmenge destilliert, eine, die es nur in Metropolen geben kann, die gerade in jenen urbanen Gebrauchsräumen lebt, durch die andere nur durcheilen, weil es eben nicht ihr Zuhause ist.
Die Ästhetik ebendieser Gebrauchsräume habe er einfangen wollen, wird Davidson weiter zitiert, da sie den meisten verschlossen bleibe, weil sie nicht innehalten. Das ist ihm gelungen: Seine Fotos zeigen ein vergangenes New York, in dem das World Trade Center noch steht und die Autos aussehen wie aus alten Krimiserien – ein zeitloser Archetyp des Molochs, der kein Ende zu nehmen scheint. Dabei wird übrigens auch deutlich, dass Berlin genau das nicht ist: so unüberschaubar und wuchernd, wie NYC schon in den 80ern war, ist unsere Hauptstadt nie gewesen. Auch wenn das Berliner U-Bahn-Netz (173 Bahnhöfe auf 10 Linien von immerhin 146 Kilometern Länge) nur etwa zweieinhalb Mal kleiner ist als das von New York, bleibt der Schmelztiegel-Effekt beschränkt auf die Vermischung von Musikern, Zeitungsverkäufern und all jenen, die sich kein Auto leisten können oder wollen. Wie komfortabel Berlin eigentlich ist, mag man entsetzt vergessen haben, wenn man Berichte über U-Bahn-Attacken liest – doch wird es spätestens im Angesicht von Davidsons Momentaufnahmen wieder klar.
Sehenswert ist übrigens auch die große Ausstellung unkonventioneller Portraits von Arnold Newman, die in den anderen Räumen des C/O Berlin gezeigt wird. Sie läuft ebenfalls bis zum 20. Mai und kann mit derselben Eintrittskarte besucht werden. Und bis 24. April gibt es im Studioraum eine Ausgabe der Nachwuchs-Serie „Talents“ zu sehen, die großartig surreale Fotografien vom „Burning Man„-Festival zeigt.
Wir verlosen 3×2 Freikarten für „Bruce Davidson – Subway „im C/O Berlin!
Klicke hier, um mit “ SUBWAY“ als Kennwort an der Verlosung teilzunehmen. Einsendeschluss ist der 01.04.12 um 13 uhr.
„Bruce Davidson. Subway„, noch bis zum 20. Mai im C/O Berlin im alten Postfuhramt, Oranienburger Str. 35/36, Berlin-Mitte. S-Bahn Oranienburger Straße. Täglich geöffnet von 11 bis 20 Uhr; Eintritt 10 Euro, ermäßigt 5 Euro.