„Nicht noch ein Katastrophenfilm.“, denkt man sich. Fällt den Kinomachern nichts neues mehr ein als noch einen Weltuntergangssturm auf die Leinwand zu beschwören? Es gibt doch genug Streifen, in denen Menschen vor einem Tornado, einem Hagel- oder Sandsturm flüchten müssen!
Jedoch offenbart sich „Take Shelter – Ein Sturm zieht auf“ als packende Sozialstudie, in der nicht der Ausbruch des Sturmes die Handlung bestimmt, sondern ein Mann, der mit apokalyptischen Visionen zu kämpfen hat. Und die alles bestimmende Frage ist: Sind sie wahr oder leidet er wie seinen Mutter lediglich an Wahnvorstellungen?
Curtis LaForche (Michael Shannon) lebt mit seiner Frau Samantha (Jessica Chastain) und seiner 6-jährigen Tochter Hannah in einem kleinen Häuschen im US-Bundesstaat Ohio. Er arbeitet in einer Sandgewinnungsfirma, sie verkauft am Wochenende Genähtes auf dem Flohmarkt. Es scheint die perfekte Kleinfamilie zu sein, doch Curtis träumt bei Tag und bei Nacht von einem apokalyptischen Sturm. Anfangs versucht er damit alleine fertig zu werden, doch die Albträume ergreifen immer mehr Besitz von seinem Alltag: Als ihn sein Hund zum Beispiel in einem nächtlichen Traum in den Arm beisst, sperrt er ihn in den Garten. Je drastischer Curtis träumt, desto drastischer werden seine Maßnahmen. Schließlich beschließt er, einen alten Tornadoschutzbunker im Garten auszubauen, um seine Familie vor der scheinbar drohenden Gefahr zu schützen. Curtis riskiert die Sicherheit seines bisherigen Lebens aus Angst, dass seinen Liebsten etwas passieren könnte. Ein Paradoxon, das ihn vor dramatische Gewissenskonflikte stellt. Was zählt für ihn mehr: Die Liebe seiner Frau oder seine Angst?
Regisseur Jeff Nichols erzählt Curtis‘ Geschichte (Michael Shannon) sehr einfühlsam. Für Nichols und Shannon ist es bereits die zweite Zusammenarbeit. Nach Nichols Spielfilmdebut „Shotgun Stories“ (2007) überzeugt Shannon nun in „Take Shelter“ auf ganzer Linie. Er schwankt zwischem dem fanatischen Unheilpropheten, der den Kopf gen Himmel richtet und einem zerbrechlichen Familienvater, der von seinen Träumen geplagt wird und mit Angstschweiss auf der Stirn seine Frau mit verzweifeltem Blick ansieht. Auch Jessica Chastain („Tree of Life“, „The Help“) überzeugt als fürsorgliche und emotionale Ehefrau und Mutter Samantha. Sie ist diejenige, die ihrem Mann Mut zuspricht.
Die Rollen von Mann und Frau sind hier klassisch verteilt: Er ist der große, kräftige Bauarbeiter, sie ist das zierliche Liebchen, das sich um Kind und Haushalt kümmert. Ecken und Kanten sucht man bei ihr vergebens. Diese Konstellation ist ein starker Ausdruck amerikanischer Familienideale.
Doch auch wenn die Charaktere insgesamt glaubhaft wirken, überschreitet Regisseur Jeff Nichols immer wieder die Grenze zwischen Melodramatik und Gefühlskitsch. Dies zeigt sich auch in den verschiedenen menschlichen Tragödien, die in „Take Shelter“ thematisiert werden: Die psychisch kranke Mutter, die ihren Sohn allein auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters zurückließ, das taube Kind von Samantha und Curtis und Curtis‘ Kampf gegen den Sturm und seine Visionen. In einer weiteren Szene, als Curtis versucht sich von seinen Visionen zu lösen, stehen beiden die Tränen in den Augen und als ob das nicht reicht, verstärken seine Worte noch den Pathos: „Das ist etwas, was Du tun musst“. Zudem verstärkt symphonische Musik die Dramatik.
„Take Shelter“ ist großes Kino im wahrsten Sinne des Wortes. Der Film präsentiert die Personen intim in riesigen Nahaufnahmen und zeigt jedes noch so kleine Stirnrunzeln. Im Kontrast dazu stehen bildgewaltige Aufnahmen eines Tornadorüssels am Horizont, Vogelscharen, die wie ein schwarzer Bienenschwarm den Himmel bedecken und nächtliche Gewitterblitze über einer menschenleeren Landschaft. Beeindruckende Naturschauspiele treffen auf eine bewegende Geschichte und machen „Take Shelter“ zu einem ganz besonderen Katastrophenfilm, der sich des vielleicht dramatischsten Wetterphänomens – dem Schicksal des einzelnen Menschen – annimmt.
„Take Shelter – Ein Sturm zieht auf, Thriller“, USA 2011, 120 Minuten, ab 22.03. in folgenden Kinos: Central Kino (OmU) Rosenthaler Str. 39, Berlin-Mitte, S-Bahn: Hackescher Markt und im Eiszeit Kino , Zeughofstr. 20, Berlin-Kreuzberg, U Bahn Görlitzer Bahnhof, Bus 129/N29