VCMG – Ssss

Die Entstehungsgeschichte dieser Platte ist eher ungewöhnlich. Depeche Mode-Veteran Vince Clarke, auch bekannt als Mitglied von Erasure und Yazoo, entdeckt den minimalen Techno deutscher Prägung für sich und ist fasziniert von puristischen Sounds und teutonisch-präzisen Rhythmen. Da fällt ihm ein, dass er Techno ja schon lange geil findet, und er als kleine Hommage eigentlich mal eine Technoplatte aufnehmen könnte. Dazu holt Clarke seinen von der Idee schnell entflammten Kollegen Martin Gore ins Boot, mit dem er musikalisch zuletzt in den Anfangstagen von Depeche Mode zu tun hatte – also vor über 30 Jahren.

Was nach der etwas verkopften Idee zweier alternder Electronica-Pioniere klingt, begegnet dem Hörer allerdings als hartnäckiges Rave-Monster mit ganz und gar jugendlich anmutender Verve. Schon in den ersten Sekunden spürt man, dass die beiden Herren es äußerst ernst meinen. Deutlich hörbar ist das Bemühen, die Stimmung eines Underground-Technokellers der rave-beseelten 90er-Jahre einzufangen – zumindest so, wie ihn sich VCMG wohl vorstellen, also irgendwie dreckig, rauh und verdrogt. In der mitunter penetranten Ernsthaftigkeit, mit der möglichst „authentische“ Technotracks aus dem Boden gestampft werden, liegt zugleich Fluch und Segen dieser Platte. Das präzise und kongeniale Mastering von Klangvirtuose Stefan Betke alias Pole sorgt dafür, dass sie nicht bloß retro, sondern tatsächlich zeitlos klingt. Doch gleichzeitig lassen Gore und Clarke allzu oft den Eindruck entstehen, sie möchten dem Hörer um jeden Preis ihren souveränen Umgang mit einem zweifellos exquisiten Maschinenpark und den daraus herstellbaren Effekten demonstrieren.

Das Schöne an Instrumentalmusik wie Techno ist ja eigentlich, dass sie keinen höheren Daseinszweck benötigt, sondern in ihrer ästhetischen Funktionalität für sich spricht. Ihre stärksten Momente entfaltet die Musik dann auch in der Leidenschaft für catchy Basslinien und knarzende analoge Synth-Melodien, die sich fast schon aufdringlich ins Gehör fräsen. In den schlechteren Augenblicken, wie etwa in der überdrehten Hysterie des Tracks „Windup Robot“, drängt sich leider die wenig schmeichelhafte Assoziation auf, wie britische Ravekids nach einer exzessiven Clubnacht noch stoned an der Musiksoftware Fruity Loops herumspielen. Viele Tracks sind vollgestopft mit Loops und „ear candy“, also besonders ausgefeilten Klangdetails, was jedoch noch keinen überzeugenden dramaturgischen Entwurf stützt. Im Gegenteil: In der Unfähigkeit, eine Architektur für ihren fragmentierten Sound-Perfektionismus zu finden, scheitern VCMG an ihrer eigenen Überambition. Die Tracks bleiben abstrakt – aber damit auch häufig im luftleeren Raum des klanglich Wohlfeilen.

Das Vorhaben, möglichst viele authentische Rave- und Techno-Zitate kunstvoll und dicht nebeneinander zu montieren, nimmt sich bei allen Acid-Sirenen und sonstigen Soundgewittern dann doch etwas akademisch aus. Bei aller Liebe und allem Herzblut für Techno, das man den beiden Depeche Mode-Veteranen trotzdem gerne unterstellt: „Ssss“ ist eine zwiespältige Angelegenheit. Die beiden vorab aus dem Album ausgekoppelten EPs hätten vermutlich genügt, um diese wohl lange kultivierte Obsession auszuleben, denn auf Albumlänge wirkt der Beweis von technischer Könnerschaft und informierter Genrebeherrschung schnell redundant. Schmutziger Techno entsteht eben nicht aus streberhafter Ordentlichkeit.

Preview:

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Tracklist:

  1. Lowly
  2. Zaat
  3. Spock
  4. Windup Robot
  5. Bendy Bass
  6. Single Blip
  7. Skip This Track
  8. Aftermaths
  9. Recycle
  10. Flux

(Mute Records)