Porno, Atomraketen und Gedärm

Pressefoto/Film Still von "The Manhattan Love Suicides": Stray Dogs, 1985

Es ist stockdunkel im Treppenhaus des KW Institute of Contemporary Art. Doch hin und wieder blitzt das Licht eines Stroboskops auf. Im Gang ertönt die Musik von Sonic Youths „Death by 69″. Der Clip dazu ist auf einem kleinen Fernseher zu sehen: Eine Gruppe Erwachsener spielt wild mit Schusswaffen herum und liegt kurz darauf blutüberströmt und mit herausquellenden Eingeweiden auf dem Boden, eine Atomrakete fliegt auf die Erde zu, Menschen stürzen sich vom Dach eines Hauses in den Tod … .

Keine leichte Kost um 3 Uhr nachmittags. Und das ist erst der Anfang. Auf vier Stockwerken und in knapp 20 Filmen widmet sich die Videoaustellung „You killed me first – The Cinema of Transgression“ dem „Kino der Überschreitung“, welches Tabuthemen wie Vergewaltigung, Mord, Sex, Drogen und Geschlechtskrankheiten zeigt.

Während sich die Regierung Ronald Reagans auf familiäre Werte konzentrierte, provozierte eine Gruppe New Yorker Filmemacher in den 1980er Jahren mit albtraumhaften Szenarien, die keiner Zensur stand halten können. Eine Pistole wird in den Arsch einer Frau gerammt, eine Tote wird vergewaltigt und bei einem Kaffeekränzchen wird die Vagina einer Frau zugenäht. Je brisanter die Themen, desto größer die Aufmerksamkeit, so war die Meinung der Filmemacher. Im Zentrum dieser radikalen Bewegung standen die Regisseure Richard Kern und Nick Zedd, welche mit ihrer „Fuck You“-Attitüde an Andy Warhols Filme anknüpften. Filmhochschulen sollten angezündet werden, denn dann gäbe es keine langweiligen Filme mehr, sagten die Gründer des „Cinema of Transgression“.

In dem Drama „You killed me first“ von Richard Kern bringt die jüngste Tochter ihre Familie um, in einem anderen Film vergewaltigt ein Faun eine zarte Waldnymphe. Er dringt mit seinem gewaltigen Glied in die Nymphe ein, sie beginnt innerlich zu verbluten, er reitet weiter auf ihr, bis sie schließlich stirbt. Dazu hört man klassische Musik – ausnahmsweise, denn Punkrock ist bei den anderen Filmen die Regel. Die Brutalitäten scheinen kein Ende zu nehmen. In einem anderen Film verbrennt eine Frau sich selbst, der Herointrip eines Mannes wird mit der Tötung einer Ratte parallel geschnitten. Und da möchte man sich als Zuschauer wie auch einige Protagonisten auf der Leinwand übergeben. Doch irgendwie weicht der Übelkeit dann doch die Neugierde, was noch so auf der Leinwand passiert.

Pressefoto/Film Still von "The Manhattan Love Suicides": Woman at the Wheel, 1985

 

Durch die ständige Beschallung prasseln die Eindrücke auf den Zuschauenden ein, Verarbeitungszeit bleibt keine und doch merkt man: Alles ist nur Film. Die absurd-schrecklichen Werke sind mit simplen Super8-Kameras gedreht, die Schnitte sind nicht immer exakt und viele Filme erinnern mit der übersteigerten Mimik der Darsteller an Stummfilme der 1920er. Geflucht wird oft und gerne. „Fuck you“ und „asshole“ –  Viel zu lange. Viel zu laut. Viel zu übertrieben.

Mehrere Filme laufen gleichzeitig. Das Publikum der Ausstellung ist gemischt: Französische Studenten zwischen 20 und 25 Jahren treffen auf Menschen Mitte 40, abgebrühte Künstler auf sensible Büroangestellte. Das „Cinema of Transgression“ nimmt alle mit auf eine Zeitreise in die 80er-Jahre der Lower East Side in New York und lässt sie erst dann los, wenn sie wissen, dass es damals mehr gab als den Glauben an eine heile Welt. Frei nach dem Motto: „Fuck policy, love ‚Cinema of Transgression'“.

http://soundcloud.com/bln-fm-im-fokus/20120311-im-fokus-cinema-of

Die Ausstellung „You killed me first – Cinema of Transgression“ läuft noch bis 9. April. Der Zutritt ist ab 18 Jahren. Eintritt: 6 Euro, ermäßigt: 4 Euro. Das Donnerstagabend-Ticket (19-21 Uhr) kostet 4 Euro. KW Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69, Berlin-Mitte, S-Bahn: Oranienburger Straße.

Wir verlosen jeweils zwei Freikarten für „You killed me first – Cinema of Transgression“!

Klicke hier, um mit „ATOMRAKETEN“ als Kennwort an der Verlosung teilzunehmen. Einsendschluss ist Freitag, der 06.04.12 um 18 Uhr!