Aus aktuellem Anlass beschäftigen wir uns heute Abend mal mit dem Weltuntergang. So abgedroschen dieses Thema im Jahr 2012 klingt, so unkonventionell, provokant und satirisch greift es die israelische Regisseurin Yael Ronen in ihrer Bühnenproduktion “The Day Before The Last Day” auf. Denn ausnahmsweise geht es einmal nicht um die Geheimnisse des Maya-Kalenders, sondern um die wissenschaftlichen Prognosen eines Futurolgen, also eines Zukunftswissenschaftlers von der Hebräischen Universität in Tel Aviv. Dieser liefert in der Schaubühne am Lehniner Platz „wissenschaftliche Beweise“ dafür, dass es zwischen 2018 und 2020 zu einem globalen Religionskrieg kommen wird. So weit, so gut.
Glücklicherweise stellt sich bald heraus, dass der von Pannen begleitete Bühnenvortrag des Zukunftsexperten bereits zum Stück gehört. Doch was ist dieses Stück eigentlich genau? Das fragen sich auch die Schauspieler selbst, während sie vor dem Publikum stehen. Wie kommt es, dass das, was sie für ihre freien, spontanen Gedanken halten, unmittelbar ins Deutsche übersetzt und an die Wand projeziert wird? Es scheint, als seien die Charaktere dem Stück und seiner Handlung schutzlos ausgeliefert – schließlich muss auch der Futurologe akzeptieren, dass er nur ein fiktiver Charakter ist. Und dem tollpatschigen Techniker Niels offenbart man sogar, dass er in fünfzig Sekunden sterben wird. So steht es im Drehbuch.
Ein gewöhnliches Theaterstück ist “The Day Before The Last Day” also gewiss nicht. Das Stück selbst fungiert als geschickte Metapher für das religiöse Konzept des „unvermeidlichen Schicksals“ und die wörtliche Auslegung religiöser Texte. Anhand verständlicher Beispiele enttarnt Regisseurin Ronen das, was sie für radikalen Schwachsinn hält – egal, ob es sich dabei um religiösen Fundamentalismus oder radikalen Atheismus handelt. Ihre schlagkräftigste Waffe ist dabei ihr zynischer Humor.
Zurück zum Stück: Nachdem der tollpatschige Techniker Niels tatsächlich einen Stromschlag durch den Videobeamer erleidet, erwacht er aus einer Ohnmacht und berichtet von einer Begegnung mit einem immatriellen, aber definitiv weiblichen Wesen: Abduname sei ihr Name und sie stelle sozusagen das Best-Of der großen Weltreligionen dar. Dementsprechend versöhnlich lautet auch ihre Botschaft: „Mutiny – Einigkeit“! Und ja, Gott ist eine Frau. Doch natürlich bleibt die Geschichte nicht nur auf einer Ebene, und so rufen die Schauspieler während der Vorstellung immer wieder ihre Eltern über Skype an. Die sind entsetzt, dass ihr moslemisches Kind zusammen mit Juden spielt – und umgekehrt. Der Futurologe erklärt indes in seinem Video-Blog, dass es sich nicht etwa um Rassismus handele, wenn er sich dagegen sperre, dass seine Kinder “Nichtjuden” heiraten, sondern quasi um den Schutz einer bedrohten Art.
Als wäre es damit nicht genug, wird auch noch das Publikum direkt in die Handlung involviert. Es wird angesprochen, belehrt, interviewt oder hin- und wieder auch mal als „Nazis“ beschmipft. Stellenweise mutet die Produktion dadurch wie eine eigentümliche Gruppentherapie an, etwa wenn man aufgefordert wird, die Hand seines Sitznachbarn zu nehmen oder sich per Selbstevaluation eine Religion auszusuchen. Übertriebene Provokation und manchmal recht flache Witze sind jedoch Teil des Konzepts. Yael Ronen schafft es, ihr Publikum damit anderthalb Stunden zum Lachen zu bringen – und zwar über die Dinge, über die man eigentlich nicht lacht. Doch gerade deshalb bietet “The Day Before The Last Day” intensive Denkanstöße.
„The Day Before The Last Day“ (Trailer), Regie: Yael Ronen. Aufführungen: 8. – 11. April, jeweils 20:30 Uhr. Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, Berlin-Charlottenburg, U-Bahn Adenauerplatz, S-Bahn Charlottenburg.