Deichkind – Befehl von ganz unten

An den selbst ernannten Tech-Rappern von Deichkind scheiden sich die Geister. Mülltütenkostüme, Abfüllung des Publikums mit der berühmt-berüchtigten Zitze, Schlauchboot-Crowdsurfing –  was für die einen nur dumme Show zu nervigem Geblubber ist, stellt für die anderen fast eine Religion dar. Die Wahrheit liegt wohl ziemlich genau in der Mitte. „Befehl von ganz unten“ ist das fünfte Album der Combo und das erste nach dem Tod von Bandmitglied Sebastian Hackert im Jahr 2009. Umso bemerkenswerter ist es, dass das Album nahtlos an den Vorgänger „Arbeit nervt!“ anknüpfen kann.

Zwölf Songs, die vor allem durch ihre Texte auffallen und wieder einmal klar machen: Deichkind funktionieren nur vor dem Hintergrund des Zeitgeistes. Das Album ist eine rotzige Ode an das Jetzt und Hier, das in der Popliteratur so beliebte Namedropping ist auch hier allgegenwärtig. „Illegale Fans“ ist (ob nun durch reine Berechnung oder Zufall) mit Zeilen wie „Dieses Lied ist leider nicht verfügbar in ihrem Land. Unsere Antwort kennt ihr sicher, sie heißt Widerstand“ der wohl am besten auf eine Zielgruppe zugeschnittene Song seit langem. Die Tatsache, dass das Video zur Single „Leider Geil“ kurzfristig durch die GEMA auf YouTube gesperrt war, ist dabei Ironie des Schicksals deluxe. „Egolution“ und „Leider Geil“ thematisieren Egoismus, Konsumlust, Hedonismus – jedoch nie ohne Selbstironie.

Musikalisch überraschen Deichkind nicht. Die „Bon Voyage“-Zeiten, in denen die Beats geschmeidig in Gehörgang und Gliedmaßen krochen, sind schon lange vorbei. Heute stehen Deichkind für einen Electropunkrap-Sound, der statt zum coolen Tanzen zum hemmungslosen Ausrasten animiert.  „99 Bierkanister“ erinnert mit seinem simplen Refrain und den schweren, einfachen Beats an Prinz Pi während seiner „Neopunk“-Phase. Die Midtempo-Nummer „Der Mond“ wirkt da mit ihrer melancholisch Grundstimmung und leicht spacigen Klanggestaltung (die am Anfang tatsächlich etwas nach Modern Talking klingt) fast schon wie eine Ballade und ist damit das perfekte Pendant zu „Luftbahn“ vom Vorgängeralbum. Für „Die Rote Kiste“ holen sie sogar die Deutschpunk-Veteranen von Slime mit ins Boot und schreien den Hörer zum Schluss noch einmal richtig an.

Deichkind waren, sind und bleiben streitbar – und genau das macht sicherlich einen Teil ihres Reizes aus. Wer sich aber auf das scheinbare Spaßkommando einlässt, kann entweder lauthals die eingängigen Texte mitgrölen, ein bisschen abzappeln und sich daran erfreuen oder aber erhaben schmunzeln und die zahlreichen Spitzen in alle Ecken der Gesellschaft genießen.

Preview:

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Tracklist:

  1. Tetrahedon
  2. 99 Bierkanister
  3. Befehl von ganz oben
  4. Leider geil
  5. Der Mond
  6. Illegale Fans
  7. Partnerlook
  8. Bück dich hoch
  9. Egolution
  10. Pferd aus Glas
  11. Der Strahl
  12. Die rote Kiste (feat. Slime)

(Universal Music)