Diverse – Shangaan Shake

shangaan shake - Cover In Zeiten eines nahenden Bundespräsidenten, zu dessen Wortschatz das Wort “Überfremdung” gehört, kann man wohl gar nicht oft genug darauf hinweisen, wie fruchtbar kultureller Austausch ist. Das Londoner Indielabel Honest Jon’s liefert jetzt mit “Shangaan Shake” eine Compilation mit einem prickelndem Clash von afrikanischer Musik und Elektro.

Pikanterweise treffen hier auch noch die Begriffe “Elektro” und “Electro” aufeinander: Im Jahr 2010 veröffentlichte Honest Jon’s mit “Shangaan Electro” eine Zusammenstellung der Musik des Labels des südafrikanischen Musikers, Producers und Talentsuchers Richard Hlungwani alias Nozinja. Was wir hier im Abendland nachts so als “Elektro” hören, ist weit entfernt von dem, was Nozinja damals “Electro” taufte: Er knöpfte sich die Musik seines Stammes vor – der Shangaan aus dem ländlichen Südafrika – und transferierte sie in die heutige afrikanische Zeit. Dabei ersetzte er den Live-Bass durch Marimbas, die nur sehr wenige fette Bassfrequenzen haben. “Shangaan Electro” überrascht einen unbefleckten Hörer durch die Abwesenheit elektronischer Klänge und dem unglaublichen Tempo von 180 bpm – wie zu Zeiten des alten Techno.

Honest Jon’s gab nun die ursprüngliche “Shangaan Electro”-Compilation an die „westliche“ Elektro-Welt weiter und heraus kam eben “Shangaan Shake” mit Remixen von unter anderem Theo Parrish, Actress und Ricardo Villalobos. Aber wie remixt man 180 bpm im Jahr 2012? Das Tempo ist für die Shangaan-Electro-Tänzer von essentieller Bedeutung, wie überhaupt in afrikanischer Musik einem Musikstil immer ein eigener Tanz zugeordnet ist. Ohne Tanz keine Musik, und eben auch kein Künstler. Nozinja beschreibt seine Talentsuche sogar so: “Er oder sie muss tanzen können. Wenn du tanzen kannst, kannst du auch verkaufen.” So schnell wie die Beats von Shangaan Electro sind, so schnell bewegen sich auch die Tänzer. Der großen Bedeutung und tiefen Verwurzelung des Tanzes in Leben und Kultur Afrikas zollt etwa der Chicagoer Hip-Hop-Produzent RP Boo mit seinem Remix Respekt, indem er einen eigenen Text hinzufügt: “Africa’s soul is coming from a body”. Trotzdem ist der Remix des selbsternannten “creator of footwork music” so langsam, dass ein Shangaan-Electro-Tänzer nicht dazu tanzen könnte.

Die Verlangsamung der Geschwindigkeit nimmt dem “Shangaan Electro” sein grundlegendes Merkmal, trotzdem wagen die meisten “Shangaan Shake”-Remixe diese tiefgreifende Abwendung vom Original. Dieses kommt manchmal nur noch als Echos kurzer Voice-Samples vor, wie ein Traum von Afrika. Konsequent auf Beats zu verzichten ist dabei ein Statement, auf das Hardwax-Gründer Mark Ernestus und das britische Pop-Duo Hype Williams in ihren Remixen setzen. Wer das als respektlos betrachtet, muss zu anderen Tricks greifen – einige Remixer unterlegen ihren Tracks einfach einen Beat im halben oder gar im Vierteltempo. Der legendäre Free-Jazz-Drummer Burnt Friedman, der mit komplexen afrikanischen Beats bestens vertraut und darin versiert ist, spielt zum Beispiel und nicht ohne Ironie einfach einen Vierviertel-Takt zum polyrhytmischen Original.

Detroit-House-Produzent Theo Parrish hingegen versucht mit weichen, harmonischen Flächen, die er über durchdrehende Marimbas und Vocal-Samples legt, unseren Puls hier und da ein wenig zu beruhigen. Nach 13 Minuten ist man trotzdem ordentlich durchgeschüttelt. Die eleganteste Lösung des Tempo-Problems bieten allerdings Ricardo Villalobos und Max Loderbauer an: Just funk it! Die originalen Beats werden durch Off-Beats ersetzt, wodurch das Tempo langsamer erscheint, obwohl es die ursprüngliche Geschwindigkeit beibehält. Das Ergebnis ist ein zeitgemäßer Dance-Track, der die Floors von London, Berlin und Buxtehude füllen könnte. Am Ende erscheinen diese beiden am ehesten als diejenigen, die ein bisschen echtes Afrika in die aktuelle Elektro-Welt hinüber retten konnten.

Ende der 1990er, als 180 bpm im Techno noch gang und gäbe waren und die Pitchbuttons der Plattenspieler meist auf Anschlag standen, hätte sich dieses Tempo-Problem im Ringen um Langsamkeit, das das ganze Album durchzieht, vermutlich gar nicht gestellt. Aber so ist mit “Shangaan Shake” eine interessante Compilation recht experimenteller elektronischer Musik mit afrikanischen Einflüssen entstanden. Wer dafür offene Ohren hat und nicht zuviel Afrikanisches erwartet, sollte rein hören.

Preview:

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Tracklist CD 1:

  1. Mark Ernestus Meets BBC
  2. Oni Ayhun Meets Shangaan Electro
  3. MMM Meets Tshetsha Boys
  4. Peverelist Meets Tshetsha Boys
  5. DJ Rashad & DJ Spinn Meet Tshetsha Boys
  6. Actress Meets Shangaan Electro
  7. Old Apparatus Meets Shangaan Electro
  8. Theo Parrish Meets Mancingelani

Preview:

[podcast:]http://media.bln.fm/media/audio/previews/diverse_shangaan_shake_cd2_preview.mp3[/podcast]

Tracklist CD 2:

  1. Demdike Stare Meets Shangaan Electro
  2. Anthony Shake Shakir Meets BBC
  3. Burnt Friedman Meets Zinja Hlungwani
  4. RP Boo Meets Shangaan Electro
  5. Actress Meets Shangaan Electro 2
  6. Hype Williams Meets Shangaan Electro
  7. Ricardo Villalobos & Max Loderbauer Meet Shangaan Electro
  8. Mark Ernestus Meets BBC Version