Grimes – Visions

Claire Boucher aus Montreal war extrem produktiv in den letzten zwei Jahren. Sage und schreibe drei Alben und eine Doppel-EP hat sie unter dem Namen Grimes aufgenommen. Das aktuelle Album „Visions“ ist das neueste in dieser Reihe. Eine ordentliche Liste, wenn man bedenkt, dass sie keinerlei musikalische Ausbildung genossen hat. Mehr sogar, sie bezeichnet ihre Unkenntnis Musik zu spielen als ihr größtes Kapital. In einem Interview sagte sie, dass sie eigentlich versuche, anderen etwas nachzumachen und ihr Scheitern zum kreativen Prozess beitrage: „Ich versuche die Dinge zu  imitieren und dann scheitere ich dabei kläglich, was herauskommt ist einfach – etwas anderes“

Umso erstaunlicher, dass „Visions“ voll ist von guten Songs, Klängen und Momenten. Tatsächlich aber scheint alles ein klein wenig neben der Spur zu sein. Vielleicht liegt es an Montreal, einer seltsamen Stadt, die kulturell auf halben Weg zwischen Frankreich und den USA liegt. Dementsprechend hört sich ihre Musik manchmal an, als liege sie auf halben Weg zwischen Pop und Avantgarde. Mal kommt sie mit simplen Melodien daher und leicht kitschigen Momenten, mal mit atonalen Klängen, die etwas aus dem Rhythmus gekommen sind. Aber es funktioniert trotzdem immer irgendwie. Da fängt „Be A Body“ mit einer gebrochenen Fläche an, so dass man meint, gleich komme irgendein Techno-„Best of“ – und kurz darauf verwandelt der Künstlerin Stimme das Ganze in einen abwechslungsreichen und spannenden Song. Oder sie beginnt mit einem leicht gequält klingenden Synthesizer und leitet damit einen Popsong ein, der fast Kinderlied-Qualität hat, so mitsingbar ist er. Es sind Lieder mit simplen, aber gut funktionierende Melodien, die dann aber doch immer wieder in dunkle Gefilde abdriften, wenn man es nicht mehr erwartet.

Reizpunkt für mache Hörer wird bestimmt Claires Stimme sein, denn wer elfengleichen Gesang nicht mag, wird wohl auch „Visions“ nicht mögen. Wenn dann noch die Chöre anschwillen und die Lo-Fi-Ästhetik ihrer Musik aufbrechen, ist das schon eine seltsame Mischung.

Dass es Popalben bis zum Abwinken gibt, ist kein Geheimnis – und auch das vorliegende würde nicht herausragen, wäre es nicht so gut komponiert und strukturiert. Besonders herausragend ist das Finale „Skin“: Wenn lediglich ein tief schwingender Synthiebass im Hintergrund wabert und Grimes Stimme am Ende nur noch flüstert, beweist sie, dass sie auch reduzierte und intime Momente schaffen kann. Dabei schafft sie es spröde, kühl und dunkel zu klingen, aber dennoch verdammt viel Lebensfreude zu transportieren. Man erwischt sich, wie man bei eine leicht schrägen Synthiemelodie mitwippt oder ihren Gesang mitsummt. Claire Boucher würde es vermutlich nicht im Mindesten stören, wenn man dabei ihre Melodie nicht so recht trifft und es sich schräg anhört. Ganz im Gegenteil: sie würde einfach einen neuen, wundersamen Popsong daraus machen.

Preview:

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Tracklist:

  1. Infinite Love Without Fulfillment (Intro)
  2. Genesis
  3. Oblivion
  4. Eight
  5. Circumambient
  6. Vowels = Space and Time
  7. Visiting Statue
  8. Be a Body
  9. Colour of Moonlight (Antiochus) feat. Doldrums
  10. Symphonia IX (My Wait Is U)
  11. Nightmusic feat. Majical Cloudz
  12. Skin
  13. Know the Way (Outro)

(Indigo)