Wer braucht schon ACTA?

Über die Auslegung von juristischen Texten streiten sich normalerweise Rechtsanwälte und Jura-Professoren. Ab und an erregt aber eine Gesetzesvorlage so sehr die Gemüter, dass sie auch in der breiten Gesellschaft heiß diskutiert wird. Das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“, kurz ACTA, ist noch nicht mal eine Gesetzesvorlage. Es ist vielmehr ein geplantes Handelsabkommen zwischen Japan, den USA, der Europäischen Union und einigen anderen Staaten, welches die unterzeichnenden Regierungen dazu verpflichten soll, künftig Gesetze gegen Produktpiraterie zu erlassen. Die Angst vor Eingriffen in die Privatsphäre und eine mögliche Abschaffung der Privatkopie brachte im Februar 2012 tausende Menschen auf die Straße. BLN.FM berichtete über die Demo in Berlin.

BLN.FM hat mit Eva Kiltz gesprochen, der Geschäftsführerin des Verbandes unabhängiger Musikunternehmen (VUT). Der VUT vertritt circa 1.200 kleine und mittlere Unternehmen der Musikbranche: Labels, Produzenten, Studios, Verlage und Vertriebe wie !K7 Records, Freude am Tanzen oder DJ Kozes Pampa Records. Für die ist doch ACTA gemacht, oder? Doch auch die Vertreterin des VUT zweifelt daran, welchen Sinn das Abkommen erfüllt.

Bereits jetzt genügen ihrer Meinung nach die rechtlichen Grundlagen, um Anbieter von Raubkopien aus dem Verkehr zu ziehen. Zahlreiche Alben verschwinden nach kurzer Zeit wieder von den Seiten der Filehosting-Anbieter. Im sogenannten „Notice and Take Down“-Verfahren informieren Rechteinhaber die Betreiber von Plattformen wie Rapidshare, dass diese Inhalte vorhalten, die gegen das Urheberrecht verstoßen. Die Plattformen löschen die Inhalte umgehend nach einer solchen Benachrichtigung und sperren im Wiederholungsfall die Nutzer.

Im Januar 2012 wurde mit dem Filehoster Megaupload allerdings gleich eine ganze Plattform geschlossen, der Betreiber Kim Schmitz in Neuseeland festgenommen. Geht alles schon ohne ACTA. Dennoch ist die derzeitige Situation für Labels, Verlage und Produzenten, die sich im VUT zusammengeschlossen haben, nicht befriedigend. Das Urheberrecht mag auf ihrer Seite sein, im Alltag ist das Aufspüren und Nachverfolgen illegaler Angebote bei über 1.000 Filehostern zu aufwendig für kleine Unternehmen. Ob ACTA diese Lücke schließen wird, daran zweifeln viele der Indie-Labels.

Kiltz vom VUT macht weitere inhaltliche Kritikpunkte aus: Manche Formulierungen der Vorlage seien schwammig formuliert und für Konsumenten kaum nachzuvollziehen. Um Unklarheiten zu verstehen, müsste man die Texte des TRIPS-Handelsabkommens hinzuziehen, auf das ACTA aufsetzt. Dazu kommt noch die Art und Weise, wie das ACTA-Abkommen zustande gekommen sei – es wurde hauptsächlich hinter verschlossen Türen und von unbekannten Verhandlungsvertretern ausgearbeitet.

Doch kursieren unter den Gegnern des Abkommens auch zahlreiche Mißverständnisse und Falschinformationen. Darauf weist Eva Kiltz ebenfalls hin. Falsch sei beispielsweise das Gerücht, dass Internet Service Provider wie Telekom oder Kabel Deutschland für ihre Nutzer haften sollen. Dies würde bedeuten, dass man die Telekom zur Rechenschaft zöge, wenn Max Mustermann sich illegal einen Film über den Telekom-Anschluß aus dem Netz herunterlädt. Im Text von ACTA steht das aber nirgends.

Mobilisiert wurden die Gegner mittels eines viralen Youtube-Videos, das die Hackergruppe Anonymus erstellte. Ob mit oder ohne Absicht, die Texttafel am Anfang des Videos wurde nicht ins Deutsche übersetzt: Sie weist darauf hin, dass das Video nicht den aktuellen Stand der politischen Entwicklung wiedergibt. Stattdessen bezieht sich die Kritik auf Texte des Abkommens, die 2009 durchsickerten – und sich zum Großteil nicht mehr in dem am 23. August 2011 fertig gestellten Dokument wiederfinden.

Hier gibt’s das Interview zum Nachhören:

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