Air – Le Voyage Dans La Lune

Air - Le voyage dans la lune - coverKometenhaft eingeschlagen sind Air mit ihrem Debütalbum „Moon Safari“ (1998), wo es thematisch um die Erkundung des Mondes ging. Seitdem geht’s bei Nicolas Godin und Jean-Benoît Dunckel immer wieder um den Weltraum. So donnerten sie schon mit synthetischem Geklacker als „Electronic Performers“ daher, oder ließen im Video zu „Surfing On A Rocket“ nicht ganz ernst gemeint eine junge Frau lasziv auf einer Himmelsrakete Rodeo tanzen.

Somit passender Ausgangspunkt für ihr aktuelles Album ist der 1902 entstandene gleichnamige Stummfilm „Le Voyage Dans La Lune“ (Eine Reise zum Mond) von Georges Méliès, der als erster Science-Fiction-Film überhaupt gilt und gerade mal 16 Minuten lang ist. Méliès fertigte zwei Versionen an: eine schwarz-weiße und eine handgemalte, durch die Farben psychedelisch wirkende. Die letztgenannte war verschollen, bis sie 1993 vom katalanischen Filmarchiv in Barcelona aufgespürt wurde. Die stark zerstörten Bilder des Films wurden in zwölfjähriger Arbeit Millimeter für Millimeter restauriert. Vier Wochen vor der geplanten Präsentation bei den Filmfestspielen 2011 in Cannes meldeten sich die Hüter von Méliès‘ Werk bei Air und fragten nach einer passenden Filmmusik für den Stummfilm. Bis ins kleinste Detail studierten Godin und Dunckel daraufhin jede einzelne Sequenz des Films, standen mit ihren Instrumenten und Klangmaschinen vor der Leinwand. Schließlich musste die Musik ja visuell funktionieren.

Mit „Astronomic Club“ geht’s hinein ins Album – gemächlich und schauerlich zugleich, mit Pauken, Schlagzeug und mysteriös klingenden Stimmen. Synthies und Effekte vernebeln sich zu einem schleiernden Klangteppich, der genauso gut in einen Agenten-Film passen würde. „How long it will take you to reach the stars?“, fragt  Beach House-Sängerin Victoria Legrand in „Seven Stars“ voller Vorfreude auf die anstehende Reise.

Bizarr im Film wirkt die militärische anmutende Zeremonie und die Jubelszenen bei der Präsentation der Rakete, zu der Air das hymnenartige, heitere „Parade“ komponiert haben. Die Reise beginnt, die Raumkapsel kracht unerwartet in das Auge des als Gesicht dargestellten Mondes. Mit deutlicher Symbolik hinterfragte Méliès den unaufhaltsamen Forschungsdrang, die Kolonialisierung des Mondes. „Uns machte es sehr traurig den Film zu sehen. Unsere Songs sollten deshalb melancholisch klingen – und heavy.“, sagt Godin im Musikexpress-Interview, der bei den Aufnahmen viel an Afrika und deren Kolonialisierung dachte. Mystisch verklärt und vorsichtig klingt dann auch „Moon Fever“, eine sich fortlaufend wiederholende Klavierabfolge, ein ruhiger Klangteppich erzeugt Spannung. Was erwartet die Forscher auf dem Mond? In „Sonic Armada“ entfaltet sich dann die Traumwelt des Mondes: Eine wilde gestalte Landschaft, bunte Pilze schießen aus dem Boden, eine menschenähnliche Kreatur überrascht die Forschergruppe. Zu den phantasievollen Bildern quietschen die Effekte, die E-Gitarre kratzt – die Neugierde steigt.

Nach der ersten überschwenglichen Mondbesichtigung folgt die Ernüchterung. Ähnlich psychedelisch wie die Bilder ist „Who Am I Now“ gestaltet: die butterweichen Stimmen der drei Sängerinnen der New Yorker Kombo Au Revoir Simone hinterfragen sich und die Mondtour. Mit „Lava“ endet dann die Reise, und das Album. Eine für Air typische Klangwelt baut sich auf, sanftes Klavier zum Anfang, plötzliche Wendung und das Schlagzeug scheppert los. Dunckel zieht quietschende Töne aus seinen Synthesizern und Keyboards, sein Kollege Godin greift etwas stärker in die Seiten seiner Gitarre – alles glüht, bis es erlischt, Ende! Air haben es geschafft, die ambivalent interpretierte Eroberung des Mondes in Méliès‘ Geschichte musikalisch gekonnt zu untermalen und somit  einen dem Film gerecht werdenden ersten Soundtrack zu kreieren!

Niemand besseres als Air, die sich künstlerisch gesehen sowieso lieber in retrofuturistischen Traumwelten und Phantasien als in irdischen Sphären aufhalten, wären für dieses Projekt infrage gekommen. Diese Mondreise war den beiden sogar so wichtig, dass sie die Musik zu dem 16-minütigen Film als ganzes Album weiterverarbeitet haben. Wir sind gespannt, wo die nächste Reise hingeht…

Preview:

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Tracklist:

  1. Astronomic Club
  2. Seven Stars (mit Victoria Legrand)
  3. Retour Sur Terre
  4. Parade
  5. Moon Fever
  6. Sonic Armada
  7. Who Am I Now? (mit Au Revoir Simone)
  8. Décollage
  9. Cosmic Trip
  10. Homme Lune
  11. Lava

(Virgin Local, EMI)