1995 war die Geburtsstunde des Virtual Boy, einer Spielkonsole von Nintendo, bestehend aus einer taucherbrillenähnlichen Brille und einem Controller. Potenzielle Käufer waren allerdings wohl nicht so recht überzeugt und so verschwand sie im gleichen Jahr wieder in der Versenkung. Ob Preston Walker und Henry Allen alias Virtual Boy der Konsole mit ihrem Künstlernamen huldigen wollen, ist nicht klar. Der Bitwelt (und damit auch Genres wie Chiptune) liegt die musikalische Ästhetik des Duos allerdings nicht sehr fern – auch wenn die beiden, die sich während des Musikstudiums kennen lernten, ursprünglich eine klassische Ausbildung genossen haben.
Bisher brachten Walker und Allen zwei EPs heraus, die letzte namens „Symphony No. Nøne“ auf Alpha Pup, wo jetzt auch ihr erster Langspieler erscheint. Auch wenn vor allem der Eröffnungstrack ihres Debuts stark nach gepimpten Videospielsounds klingt, stellen Virtual Boy im Vergleich zu ihren bisherigen Veröffentlichungen die Bitästhetik stark zurück. Der Eröffnungstrack „Motion Control“ und auch der folgende Track, „Go Johny, Yeah!“ marschieren rockstarmäßig wie eine Mischung aus Daft Punk, Eskmo und Ratatat selbstbewusst los.
Wem das zuviel des Guten ist, sollte sich nicht gleich abschrecken lassen, denn das Album bewegt sich noch durch verschiedene andere Sphären – vor allem auch durch ruhigere. Dabei beschreiten Virtual Boy durchaus ungewöhnliche und interessante Wege. Bestimmendes Element sind neben HipHop-Beats und Glitch-Elementen meist Melodien von Gitarre (Allen studierte klassische Gitarre), Klavier oder Streichern, die die einzigen organischen Elemente in ihrer Musik darstellen. Teilweise driften die Tracks, wie bei „Sandias“, in eine Welt ab, die eine Kreuzung aus klassisch arrangierten Streichern und HipHop-Beats ist.
Neu sind jedoch vor allem die durch einen Vocoder robotermäßig verfremdeten Gesangsspuren, die auf fast allen Stücken zu hören sind. „Emptyplace“ etwa spielt ganz kurz ein düsteres Szenario an, was aber sofort durch helle Akkorde und einen fröhlichen 2-Step zerstreut wird und der Roboterstimme das Feld überlässt. Theoretisch lässt sich durchaus darüber streiten, ob Vocoder so exzessiv eingesetzt werden müssen, allerdings ist es bei Virtual Boy durchaus sinnvoll. Die Vokalspuren sind zu auffällig, um nur Sample zu sein, jedoch auch zu verfremdet und inhaltsarm, um herauszustechen. Sie sind Teil der Maschine, die das Duo ins Leben gerufen hat.
Mit fortgeschrittener Titelzahl gewinnt das Album immer mehr an Ruhe und nimmt den Hörer mit auf eine Reise durch eine teils verträumte, teils euphorische Welt und erstaunt mit der überraschend stimmigen Fusion von klassischer Instrumentierung mit Popelementen und futuristischen Klängen. Groß ist vor allem die Single „Memory Of A Ghost“, die mit schlingernden Synthies, stolpernden Beats, warmen Melodien, Stimmsamples und sparsamem Sägezahnbass eine schöne Hymne abgibt. Bis zum Ende des Albums gehen die Tracks stimmig ineinander über, sodass das Gesamtwerk gut und gerne den Soundtrack zu einem Film, zum Leben oder zu einem Videospiel abgeben könnte. In letzterem Fall zu einem ganz bestimmt langlebigeren Spiel als dem vermeintlich namensgebenden Konsolenrelikt.
Preview :
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Tracklist:
- Motion Control
- Go Johnny, Yeah!
- Sandias
- Empty Place
- Chariot
- Let Go
- Viking
- Corrales
- Memory of a Ghost
- The Tower
- Only One