So war’s: CTM.12 „Spectral“

Wenn die CTM (ehemals club transmediale) mit beeindruckenden Programmpunkten und äußerst tiefsinnigen theoretischen Gedanken zu Abenteuern in experimenteller Musik und Clubkunst einlädt, sind die Erwartungen entsprechend hoch. Aber können die Konzerte und Clubabende das Versprechen halten, wirklich innovative Musik und Kunst zu präsentieren? Der große Schritt vorwärts, ist er dieses Jahr gelungen? BLN.FM-Musikliebhaber waren an vielen Abenden unterwegs und haben ihre Eindrücke festgehalten.

Zwischen Astrolabor und Shoegaze-Trance

Der Raster-Noton-Showcase am 31. Januar präsentierte sich grundsolide, aber wenig bahnbrechend. Mark Fell filetierte unbarmherzig Detroit-Techno, in dem er unbeirrt fortlaufende, metallisch-klirrende Rhythmen über Melodiefragmenten legte – kurz und anstrengend. Kangding Ray ravte mit munter eingängigem Geklöppel: Der freundliche Rhythmus im mittleren Tempo lockt auf die Tanzfläche, bevor Shoegaze-Noise-Wellen das Publikum in tranceartige Zustände versetzte – nach wie vor ein Geheimtipp für eine gepflegte Abfahrt. Doch wirklich mit Spannung erwartet wurde die Weltpremiere des Duos Sendai. Peter van Hoesen ist eher für amtlichen, recht schnörkellosen Techno bekannt, Yves de Mey für düster-technoide Ambientklänge auf Sandwell District. Sendai pfeift auf Tanzbarkeit und setzt stattdessen auf die akustische Präsenz künstlicher Laborklänge. Überlagert wird das durch ein Rhythmusgerüst, das eher selten in Techno-Geschwindigkeit stampft, viel öfter träge und düster bei Dubstep Anleihen nimmt. Das Resultat ist perfekte, aber ungemütliche Musik, die mit ihren Effekten perfekt im industriellen Ambiente des Berghains zur Geltung kommt.

Musikalische Ideen, Produktionsprobleme und mögliche Schreibblockaden sollten Gegenstand des CDR-Workshops zuvor sein. Man konnte einen eigenen Song einschicken, der dann vor Ort über die Anlage läuft, und auf konstruktive Resonanz hoffen. Zum Start gab es Interviews mit Pole und Morphosis. Die zwei Musiker und Labelchefs erzählten von ihren Anfängen in der elektronischen Musikszene und ihrer Herangehensweise an Kompositionen. Danach kam’s zum interaktiven Teil des Workshops: Die eingeschickten Tracks wurden in einem anderthalbstündigen DJ-Set verbaut, während die Namen der Urheber an die Wand projiziert wurden. Wider Erwarten ganz ohne Feedback.  Zum Abschluss gab es ein je einstündiges DJ-Set der beiden Labelchefs – die Erwartungen an einen produktiven Workshop erfüllten sie jedoch nicht.

Das Hebbel am Ufer stand als Veranstaltungsort im Zentrum der diesjährigen CTM. 1967 war es Sitz der von Conrad Schnitzler und Hans-Joachim Roedelius initiierten Plattform Zodiak Free Arts Lab. Mit dem Modul Zodiak Revisited erfuhr diese Plattform in der letzten Woche eine kleine Renaissance. Der Auftritt von Qluster (Foto oben) am Mittwoch war mit Sicherheit einer der Höhepunkte dieses Moduls. Bewaffnet mit einer riesigen Palette von analogen Synthesizern und mit der ehrwürdigen Unterstützung von Armin Metz und Onnen Bock verwandelte Roedelius das HAU2 in einen spirituellen Schauplatz, auf dem er seine minutiös gewebten Klangteppiche ausbreitete. Er lud die Hörer zum Meditieren ein – nicht umsonst wurde das Auditorium zuvor mit Liegesäcken ausgelegt. Nach einem etwa 45minütigen Set, in dem sich das Publikum gänzlich von Gedanken befreite und in dem melodiösen Rauschen verlor, bejubelte es die Darbietung ausgiebig. „Das nächste Mal etwas länger!“, forderten Besucher. Umrahmt wurde der Auftritt von eher unspektakulären Video-Projektionen. Überhaupt konnte man sich an kaum einem Abend der Frage entziehen, welcher Aspekt des Auftritts denn nun den versprochenen audio-visuellen darstellte.

Regenschirm trifft zufällig auf Nähmaschine

Einige visuelle Erfahrungen bot das Modul „Respect Spectre„. So auch den Film „Phantom Love“ der kalifornischen Regisseurin Nina Menkes, der am Donnerstag im HAU3 gezeigt wurde. „Phantom Love“ erzählt die Geschichte der schönen Lulu, die ihren Lebensunterhalt als Croupier in einem Casino in Koreatown in Los Angeles verdient, unter der geistigen Behinderung ihrer Schwester leidet und jede Nacht Sex mit einem anderen Mann hat. Diese kleinen Szenen werden in 85 Minuten Laufzeit geloopt und höchstens von surrealen Schwarz-Weiß-Bildern unterbrochen. Der Mangel an kohärenten Dialogen oder einer Filmdramaturgie machte den Filmgenuss zu einem eher mühsamen Unterfangen. Während die einen verärgert oder lachend den Saal verließen, warteten andere – und warten wahrscheinlich bis heute noch – auf die Auflösung des Films. „Phantom Love“ lässt sich mit einem Zitat des französischen Dichters Comte de Lautréamont vielleicht am anschaulichsten erklären: „…schön wie die zufällige Begegnung eines Regenschirmes mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch.“

Ganz im Zeichen von atmosphärischen Soundexperimenten zwischen Wunderland und Albtraum stand das Tri Angle-Showcase am Donnerstag im Berghain. Der häufig als Vorreiter des Witch House oder Geister-Pop bezeichnete Labelsound präsentierte drei seiner Künstler: Balam Acab spielten ein sympathisch-nerdiges Liveset zwischen zuckersüßen Videospiel-Melodien, raffinierten Beatgewittern sowie wunderschönen Live-Vocals und befremdlichen Computerstimmen ungeklärter Herkunft. Holy Other gelang es, in seinem Set unmittelbar eine sakral andächtige Atmosphäre zu schaffen, wozu hauptsächlich seine ausladenden und düsteren Soundteppiche, die gespenstisch-verhuschten Stimmfragmente und schleppende Breakbeats beitrugen. Sein flächig-atmosphärischer Sound sorgte mittels der Anlage des Berghain für spürbar intensive Momente zwischen Melancholie und Gänsehaut. Manchmal nahezu soulige Qualitäten brachte dagegen die Sängerin von oOoOO mit, als sie die verträumten Synthesizer-Klanglandschaften von Chris Dexter Greenspan mit ihrem schüchternen Timbre veredelte. Alles in allem ein sehr interessanter Einblick in tatsächlich selten gehörte Klanglandschaften, der den Eindruck einer klaren ästhetischen Vision jenseits des Hypes untermauerte.

Balam Acab / CTM.12 by Marco Microbi

Gleicher Tag, andere Stelle: das Duo Wolfgang Voigt und Jörg Burger aka Mohn stand völlig regungslos und komplett in weiß vor der Leinwand des HAU1-Theaters. Sie wurden komplett überstrahlt von der Projektion von mit Polfilter gefilmten Aufnahmen, die kühle Landschaft zeigten. Genau dort setzte die Musik von Mohn an. Sie schwebt zwischen kalten Flächen und stiller Beobachtung. Auch wenn es der Name zur langsam fortschreitenden Musik suggeriert:  Es wurde keine dröge Heroin-Tonkunst geboten. Die Projektionskunst war behutsam und punktgenau auf die Musik abgestimmt, verhallte Zeitlupen-Klänge und ausgefeilte Synthieklänge erschufen eine hypnotisierende Atmosphäre, die erst dadurch beendet wurde, dass sich nach etwas mehr als einer Stunde Voigt und Burger wieder bewegten.

Schlüssellochblick in ein Farbenkosmos

An drei Abenden präsentierte die Joshua Light Show komplett analoge Visuals. Freitags projizierten sie eine Vielzahl von Farben und Formen mittels eines riesigen Tageslichtprojektors zu den Klängen von Oneohtrix Point Never. Die Lichtshow bestand zum Großteil aus Farbspielen: Zum einen wurden bunte Flüssigkeiten ineinander gekippt und beobachtet, wie sie sich miteianander mischten oder voneinander absetzten. Es ergaben sich fantastische surreale Gebilde, die an Baumwachstum im Zeitraffer erinnern. Zum anderen wurden bunte Öltropfen in Wasser hineinpipettiert: Dies war auch in Großformat auf Leinwand nicht ganz so spannend. Der musikalischen Untermalung von Oneohtrix Point Never fehlte es bei dieser Aufführung zu sehr an Konsistenz, um einen im Schwebezustand der Farbbewunderung zu halten. Es gab druckvolle Bässe, fremde Klänge und verschrobene Synth-Rhythmen, jedoch wirkte alles wie zufällig zusammengewürfelt. Ein wenig schien es, als müsse der Status als formal „experimentelle Musik“ dadurch gerechtfertigt werden, indem versucht wird, Musik so seltsam wie möglich zu machen, statt die wunderbaren Momente aufrecht zu erhalten, in denen einfach alles zusammenpasst. Diese Momente gabe es am Freitag, kurze Momente, in denen die Projektionen den Klang zu leiten schienen und umgekehrt. Kurze Momente, in denen man das Gefühl hatte das Schauspiel eines wunderbaren Kosmos zu erfahren – leider waren sie viel zu selten.

Am Samstag sorgte der Kanadier Tim Hecker für eine der längsten Schlangen, die es bis dato vor der Passionskirche gab. Hunderte von Menschen waren gekommen, um Zeuge der Orgelinterpretation seines aktuellen Albums „Ravedeath, 1972“ zu werden. Es war ein überwältigendes Konzert – falls die Begrifflichkeit „Konzert“ dieser Erfahrung gerecht wird. Hecker mikrofonierte die Orgel der Passionskirche und nutzte so das zwischen der Orgel und der Elektronik entstehende Feedback, um gewaltige Sounds zu schaffen. Das Publikum saß wenig ahnend im überfüllten Saal, der, sobald die ersten Orgelpfeifen ertönten, in völlige Dunkelheit gehüllt wurde und plötzlich leer zu sein schien. Die Orgelpfeifen bildeten sich sukzessive zu bebenden Drones heran, die sich langsam und ganz unbemerkt in die Haut bohrten und sehr bald die immense Wucht entwickelten, dem Hörer die Luft zum Atmen zu nehmen und ihn im Vakuum ersticken zu lassen. Mit einer Soundexplosion, der auf der ganzen Brust zu spüren war, und einem schüchternen „Thank you!“ beendete Hecker abrupt seine Darbietung und lieferte damit den einzigen Beweis, dass doch ein Mensch hinter diesem schaurigen Geniestreich steckte.

Stundenlanger Kehlgesang mit ‚Klingender Schüssel mit Klöppel‘

Ausklang bei der CTM am Sonntag: Die Aufführung von Phurpa am frühen Sonntagabend war eine buddhistische Zeremonie und bestand aus etwas mehr als zwei Stunden Kehlgesang in Kombination mit Instrumenten. Die kannte man vielleicht schon vom sehen her, dafür waren die Namen eher skurril. Was ist bitte eine „klingende Schüssel mit Klöppel“? Die ersten Minuten war das Publikum von den Stimmen der vier Sänger gebannt, die wie Synths im Sägezahn-Modus klangen und dabei sogar Harmonien erzeugten. Danach war es faszinierend zu sehen, was es für tolle unbekannte Instrumente gibt. Nach einer dreiviertel Stunde war genug gehört und gesehen, jedoch ließ der zeremonielle Gesang einen bei geschlossenen Augen im Trance wippen.

Ihren opulenten Abschied feierte die CTM.12 mit dem „Spire“-Konzert in der Passionskirche, mit dem gleichzeitig das 30jährigen Bestehen des Labels Touch gefeierte wurde. In einem mehrere Stunden umfassenden Orgelset präsentierten Charles Matthews, Marcus Davidson, The Eternal ChordHildur Guðnadóttir, Jana Winderen und Eleh viele Neuinterpretationen von klassischen Stücken. Wieder saß das Publikum im Dunkeln und hatte keine Bühne und kaum Protagonisten, dem es seine Aufmerksamkeit hätte schenken können. Es blieben ihm einzig die bizarren Orgelstücke, die sich nahtlos in die Umgebungsgeräusche der Passionskirche – Handyklingeln, Glasbrüche und ähnliches – fügten. Eine ausufernde Cellodarbietung von Hildur Guðnadóttir sorgte für minutenlangen Applaus: ein denkwürdiges Ende einer mehr als denkwürdigen Woche.

(mit Maxim Bethke, Daniel Felleitner, Alexander Koenitz / Foto Balam Acab: Marco Microbi)