Das Setting ist mittlerweile klassisch: Fünf prekäre Jugendliche erobern eine Art Schutzraum und toben sich aus. Den Schutzraum stellt – wie so oft – eine übers Wochenende leer stehende Villa dar und das Austoben besteht – wie so oft – hauptsächlich aus dem Konsum aller möglicher Drogen und der daraus resultierenden Verstärkung sexueller, zerstörerischer und selbstzerstörerischer Tendenzen. So weit, so schablonenhaft. Die Eröffnungsminuten des irischen Films „Dollhouse„, der am 10. Februar seine Weltpremiere auf der Berlinale gefeiert hat, lassen Altbekanntes befürchten.
Noch in der ersten Viertelstunde werden allerdings kurz hintereinander zwei gewichtige Argumente deutlich, die dann doch im Kinosessel halten dürften. Zum Einen wird raffiniert beiläufig enthüllt, dass eine der Einbrecherinnen die verschollene Tochter der wohlhabenden Hausbesitzer ist – was ihre neuen Freunde aus dem Block zunächst vor den Kopf stößt und den Zuschauer mit Fragezeichen belädt, deren Aufklärung der weitere Handlungsverlauf verspricht. Interessanterweise trägt dieser recht reduzierte Spannungsbogen bis kurz vor Filmende, insbesondere weil er durch das Hereinplatzen des viel zu hübschen Nachbarsjungen, der Lärm hört und nach dem Rechten sehen will, drastisch verstärkt wird.
Zum Anderen aber ziehen die jugendlichen Schauspieler schnell in ihren Bann. Sie wirken unverbraucht und authentisch; zwar fordert die Geschichte ihren Charakteren zu wenig Tiefgang ab, doch bieten die zuweilen ausufernden Szenen benebelten Abhängens Raum für eine ausreichend detailgetreue Darstellung jener „Hoodie Kids“, die als perspektivlose, gelangweilte „Rabauken“ in Großstädten damit beschäftigt sein sollen, „rechtschaffenen Bürgern“ Angst und Schrecken einzujagen. Insbesondere Johnny Ward spielt seinen Part als Gangleader Eanna (ja, das ist ein männlicher Vorname) mit derart beeindruckender physischer Präsenz, dass man jeden Moment mit einem ultrabrutalen Ausbruch à la „Eden Lake“ rechnet.
Den deutschen Subtitel des Panorama-Beitrags – „Das Puppenhaus“ – sollte man übrigens ganz schnell vergessen, um die ebenso hübsche wie treffende Doppelassoziation des Wortes „Dollhouse“ nicht zu überschatten. Zwar ist ein englisches „doll house“ natürlich ein Miniaturgebäude zum Spielen – und in der Tat verlässt der Film nie den engen Radius des eroberten Hauses, das dadurch zur Bühne eines manchmal puppenhaften Kammerspiels wird. Doch denkt man im Deutschen unwillkürlich auch ans „Tollhaus“, in dem es drunter und drüber geht, ein bisschen zu laut, ein bisschen zu viel, ein bisschen zu kindisch vielleicht. Das passt sehr gut zum zweiten Langfilm der jungen Dubliner Regisseurin Kirsten Sheridan. Als der Geschichte nämlich unmittelbar nach Schluss des Spannungsbogens noch mit aller Macht ein „ernstes Ende“ gegeben werden soll, wird es ziemlich absurd bis ärgerlich. Die Stärke von „Dollhouse“ ist eher die eines Polaroids: eine spontan wirkende, nicht ganz farbechte, aber authentisch wirkende Momentaufnahme, deren abgebildete Personen einem irgendwie bekannt vorkommen.
Dollhouse, Irland 2011, 95 Minuten, Regie: Kirsten Sheridan.
Vorführungen auf der Berlinale (Sektion „Panorama“): Fr., 10.02., 21:30 Uhr (Weltpremiere), Sa., 11.02., 20:15 Uhr, So. 12.02., 22:30 Uhr, Di., 14.02., 14:00 Uhr, Fr., 17.02., 22:45 Uhr. Für Informationen zu Spielorten und Tickets siehe die Website der Berlinale.
Foto oben: Kate Stanley Brennan, Johnny Ward, Shane Curry; Foto unten: Shane Curry. Beide Fotos (C) The Factory