Was für ein idyllische Vorstellung: Ein Mann baut sich gemeinsam mit einem kleinen Jungen am Rande der Großstadt eine Waldhütte. Schluss mit dem Finanzamt, keine Mieterhöhung und keine Vorschriften mehr vom Chef. Das Zwitschern der Vögel ersetzt den Wecker und jeden Tag erwacht er umgeben von der freien Natur. Leider sind die Beweggründe von Martin (Peter Schneider) weniger romantisch: Er leidet unter Wahnvorstellungen.
Der studierte Gehirnforscher und Regisseur Hans Weingartner zeigt nach „Das weiße Rauschen“ erneut sein Talent für packende Fallstudien. Im Mittelpunkt von „Die Summe meiner einzelnen Teile“ steht der hochintelligente Mathematiker Martin, der nach sechs Monaten in der psychatrischen Anstalt mit Psychopharmaka im Gepäck wieder zurück ins Leben entlassen wird. Doch schnell verfällt Martin alten Verhaltensweisen und verwahrlost in seiner Marzahner Sozialwohnung. Als er durch Zufall den zehnjährigen Viktor (Timur Massold) kennenlernt, schließt er Freundschaft, obwohl Viktor nur russisch spricht. Sie meistern von nun an zu zweit das Leben.
Hans Weingartner bezieht sich mit „Die Summe meiner einzelnen Teile“ auf Sozialstudien. Viele Obdachlose kommen mit „der Gesellschaft“ nicht zurecht und leiden auch unter Psychosen. Auch Martin überfordert die beklemmende Großstadt und die Einsamkeit, denn er hat keinen, der ihm hilft seine Ängste zu bewältigen. Die verschriebenen Psycho-Pillen lösen nicht Martins eigentliches Problem: Ihm fehlt die Liebe seiner Mitmenschen. Die Anonymität der Großstadt machte ihn verrückt, sein früherer Job saugte ihn aus und ließ ihn schließlich durchdrehen. Die verzweifelte Suche nach Sozialkontakten offenbart sich auch durch Martins Bekanntschaft mit Lena (Henrike von Kuick). Beide träumen von einem Leben jenseits von gesellschaftlichen Zwängen.
Die Einsamkeit Martins in der Großstadt spiegelt sich in der Wahl der vorherrschenden Farben wider. Berlin ist eine graue, entfärbte Stadt, der Wald als Zufluchtsort abseits der Zivilisation heimelt in milden Brauntönen und sattem Grün. Umgeben von der freien Natur meint Martin seinen Frieden finden zu können. Wie unvereinbar Martins Vorstellung mit der Realität der anderen ist, zeigt sich in der Wahl drastischer Maßnahmen, die gegen Martin ergriffen werden und mit denen er sich wehrt.
Martins Krankheit ist wie eine Endlosschleife, konsequent wiederholen sich einige Filmausschnitte, so dass eine zeitliche Anordnung der Geschehenisse nur bedingt möglich ist. Trotz der Tragik gibt es auch komische und liebevolle Momente. Weingartner schafft es, Martin nicht als „Psycho“ abzustempeln, sondern seine Sehnsüchte und Gefühle zu offenbaren. „Die Summe meiner einzelnen Teile“ ist kein Film, den man schnell vergisst, sondern der noch lange nachwirkt.
Die Summe meiner einzelnen Teile, Psychodrama, Deutschland 2011, 120 Min. Seit 2.2. im FSK Kino, Segitzdamm 2, Berlin-Kreuzberg U-Bahn: Kottbusser Tor, im Filmtheater am Friedrichshain, Bötzowstr. 1-5, Tram: Hufelandstraße, Berlin-Friedrichshain und im Cinemaxx Potsdamer Platz, Berlin-Tiergarten, S/U-Bahn: Potsdamer Platz.