Schattenseiten des Digitalen

Ein beengender dunkler Raum mit niedrigen Decken, bespielt von großen Lautsprecherboxen. Bässe kitzeln die Besucher mit tief wummernden Bässen. Düster und doch einladend deutet bereits der Eingangsbereich der transmediale-Ausstellung „Dark.Drives“ an, was in der Ausstellungshalle im Haus der Kulturen der Welt gezeigt wird. Auf über 200 Quadratmetern sind Objekte zu sehen, häufig zu Kunst umfunktionierte Alltagsgegenstände, welche sich mit den „dunklen Seiten unseres technologisierten Lebens“ (O-Ton Pressetext) beschäftigen.

Eine dieser Schattenseiten ist der Export von giftigen Technologiemüll in die armen Staaten der „Dritten Welt“. In den westlichen Industrienationen wird Technologie schnell konsumiert, eine Produktgeneration jagt die nächste. Neue Entwicklungen kommen unter regelrechten Jubelgeschrei seitens der Unternehmen und der Fans auf den Markt. Das Design ist kaum verändert und die Leistung unmerklich besser. Mit großer Sicherheit braucht man jedoch allerhand neues Zubehör. Da passt der alte Akku auf einmal nicht mehr in die neue Kamera und das noch funktionsfähige Handyladekabel hat den falschen Anschluss. Der technologische Fortschritt bedeutet also, dass Produkte unbrauchbar werden. Jahr für Jahr wird auf diese Weise massenhaft Elektroschrott produziert, der anschließend in Entwicklungsländer verschifft wird.

In ihrer Foto-Slideshow zeigen Jack Caravanos und Vibek Raj Maurya eine Auswahl von Bildern, welche Elektroschrott-Berge in den Ländern der Dritten Welt dokumentieren. Bei den Bildern handelt es sich um Profi- und Amateuraufnahmen, die auf der Online-Fotoplattform flickr veröffentlich wurden. Die Dauerschleife ist unkommentiert, dennoch wird schnell deutlich, dass die moderne Technologie die Gesellschaft nicht zwangsläufig „schöner“ gemacht hat, wie es das glatte Apple-Produktdesign suggeriert. Das Gegenteil ist der Fall: riesige Müllberge sind die Folgen eines affektgetriebenen Kaufverhaltens, gepaart mit der Entwicklung von Geräten, deren Lebensdauer gerade einmal die Garantie überlebt.

Ein völlig anderes Beispiel für den Kontrollverlust in der technologisierten Welt zeigt die Video-Installation von Eva und Franco Mattes alias 0100101110101101.ORG. Grau, alt und kaputt sieht der Computer aus, der auf dem Boden der Ausstellungshalle liegt. Auf dem umgekippten Monitor läuft ein Kult-Clip aus Youtube, in dem ein computersüchtiger Jugendlicher hemmungslos ausflippt. Er ist in guter Gesellschaft: Mal hat die Mutter das Konto bei „World of Warcraft“ gelöscht, jemand zieht den Stecker oder der Computer schmiert einfach von allein ab. Die gezeigten Teenager brüllen wie am Spieß, schmeißen den Controller auf den Boden, hämmern ihre Fäuste in die Tastatur und werfen vor Wut ihren „Gameboy“ auf die befahrene Straße. Dabei verrät bereits die Installation das Ende eines jeden Clips: „Game Over“. In ihrer erschreckenden und gleichzeitig faszinierenden Videocollage werfen die New Yorker Medienkünstler die Frage nach dem Übergang von virtueller zur realen Welt auf. Eine Schnittstelle, die vielleicht gar keine ist, wenn die virtuelle Welt mit der realen bereits übereinstimmt.

Der Weg von Fiktion zur Realität ist auch Thema in dem Musikvideo-Klassiker „Come to Daddy“ von Aphex Twin. Regisseur und Videokünstler Chris Cunningham inszenierte in dem verstörenden Musikclip vor mehr als 15 Jahren eine Welt, in der Fernsehdämonen zur Wirklichkeit werden.

Das fratzenhaftes Gesicht Aphex Twin erscheint auf der Mattscheibe eines Fernsehers und brüllt der alten Frau die Worte „I want Your Soul“ entgegen. „Come to Daddy“ rufend, lockt das Gespenst aus dem Fernseher eine Horde Kinder, alles Miniaturklone des Musikers, zu sich. Am Ende des Videos kriecht die Grimasse aus dem Gerät, zu sehen bleibt schließlich nur noch der eigene Fernseher. Chris Cunningham gebärt in seinem Musikvideo ein Medienmonster, einen Albtraum. Der Fernseher ist das Fenster zu Horrorszenarien und gleichzeitig die Tür für das Monster zur Wirklichkeit.

Der transmediale Ausstellung gelingt ein abwechslungsreicher Querschnitt durch die Geschichte der letzten 40 Jahre Medienkunst. Soundcollagen, Videos, Installationen und Fotos bieten ein Programm, welches die unterschiedlichen Sinne herausfordert. Einige Kunstwerke geben Ausblicke auf Übermorgen und andere suchen die Konfrontation im Jetzt. Als Besucher wird man jedenfalls gefordert und gleichzeitig zum Weiterdenken angeregt – ein Erlebnis von dem man auch nach Ausstellungsende noch etwas hat.

“transmediale Ausstellung: Dark Drives” – bis zum 5. Februar 2012 , geöffnet täglich 10 bis 23 Uhr im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin-Mitte, S-Bahn: Hauptbahnhof, U-Bahn: Bundestag, Bus 100: Haus der Kulturen der Welt

(mit Frauke Vogel und Agata Waleczek)