Erst ein Husten, dann Schreien und dann Schweigen – alle sinken zu Boden und verharren in Bewegungslosigkeit. Mit diesem Bild geht die letzte Szene von Marinella Senatores „Intermezzo Oper“ zu Ende. Fünf Figuren haben darin auf einer offenen Bühne den Sprachverlust der Menschheit als eine Krankheit inszeniert, die sich wie eine Epidemie ausbreitet. In einer Art Quarantäneraum versuchen sie mit Hilfe von wissenschaftlichen Tests dieser gefährlichen Infektion auf die Spur zu kommen und sie damit zu bekämpfen. Ihr Glauben, dass sie im Schutzraum vor den Infizierten „draußen“ sicher sind, wird am Ende bitter enttäuscht: Die Situation ist ausweglos, denn eine Person hat gesehen, dass es das „Draußen“ gar nicht gibt.
Dieser szenische Erzählstrang ist nur einer unter vielen in „Intermezzo Oper“, dem ersten Teil einer Trilogie mit besonderem Größenformat, welche speziell für das Medium Film entwickelte wurde. Sie verbindet sämtliche Künste wie Wort, Bild, Tanz, Musik und Gesang miteinander. Alle Szenen, Tanz- und Gesangssequenzen entstehen in „Intermezzo Oper“ in Gruppenarbeit. Auch die Dialoge des Librettos, also des Drehbuchs, sind in einem kollektiven Arbeitsprozess entstanden. Zwischen fiktiven Elementen gibt es auch dokumentarische Abschnitte: So sind beispielsweise Gesprächsausschnitte in den Film montiert, die authentische Berichte von Teilnehmern über ihre Erfahrungen mit der eigenen Lese- und Schreibschwäche zeigen. Als Tänzer, Musiker, Schauspieler und Regisseure haben insgesamt über 240 Berlinerinnen und Berliner an der Oper mitgewirkt.
Die Künstlerin Marinella Senatore gibt den Beteiligten mehr als nur den Anstoß, sich mit einer thematischen Idee zu beschäftigen. Sie stiftet mit ihrem Projekt eine neue Gemeinschaft, indem sie einzelne persönlichen Erinnerungen und gemeinsame Erfahrungen, die Teilnehmer miteinander machen, Teil des Stückes selbst werden lässt. Diese Arbeitsweise hat sie bereits zuvor in anderen Städten angewendet, sie inszenierte schon mit Rappern in Harlem (2009) und mit zweihundert Einwohnern der Lower East Side in New York (2011). Das Kollektiv, das sie antrifft, wird nie als gegeben betrachtet, sondern als Ausgangspunkt für eine authentischere Fiktion, die aus der Realität schöpft.
In Berlin hat Senatore nicht mit einer bestimmten Gruppe gearbeitet, sondern ein großes Spektrum von Leuten aus unterschiedlichen Feldern am Thema „Sprache“ arbeiten lassen. Es wird sehr schnell deutlich, dass die Sprache die Grundlage aller Gemeinsamkeit ist. Sprache steuert Kommunikation, Verhalten, soziale Prozesse und bestimmt am Ende die Machtverhältnisse. Ein Sprachverlust grenzt aus, macht Angst; das schutzlose „Draußen“, die metaphorische Welt, in der es keine Sprache mehr gibt, wird zur existentiellen Bedrohung. In „Intermezzo Oper“ wird diese Dramatik des Sprachverlusts spürbar.
„Intermezzo Oper“, bis zum 12. Februar 2012 im Künstlerhaus Bethanien, Kottbusser Straße 10, Berlin-Kreuzberg. Öffnungszeiten Di – So, 14 – 19 Uhr, Eintritt frei.